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Der Blog der Erwachsenenbildung im Kirchenkreis Siegen

Wenn dich jemand fragt... Was ist "reformiert"?

30.10.2025

von Marie Astrid Weiss

 

Dann fällt mir als erstes der Reformationstag ein, jedes Jahr am 31.Oktober. Jedes Kind wusste bis vor kurzem, dass damit an Martin Luthers 95 Thesen erinnert wird, die er 1517 an der Wittenberger Schlosskirche „anschlug“ (also veröffentlichte), um eine Diskussion zur Erneuerung der Kirche nach der Heiligen Schrift anzuregen.

 

Aber was ist "reformiert"? Warum ist unser Kirchenkreis “reformiert“?

 

„Reformieren“ heißt „umgestalten“, „wieder in Form bringen“. Genau darum ging es Martin Luther, aber auch Ulrich Zwingli und vielen anderen Theologen nach 1500. Sie merkten nach intensivem Bibelstudium: In der derzeitigen Form der Kirche konnte den meisten Menschen der Trost, die befreiende Wirkung des Evangeliums gar nicht mehr klar werden. Latein als Gottesdienstsprache, dadurch Passivität in der Kirche, fehlende Predigten und Angst vor Fegefeuer und Hölle verdeckten für viele die frohmachende Botschaft. Der Papst warf alle, die gegen diese Form protestierten, die „Protestanten“, aus der von Rom bestimmten Kirche hinaus. So bildeten sich neue, auf das Evangelium bezogene, „evangelische“ Kirchen, mit Gottesdienstsprache Deutsch, deutscher Predigt und neuen Liedern, die nicht nur in der Kirche gesungen wurden. 

 

Luther und die nach ihm benannten „Lutheraner“ hielten sich noch mehr an die alte Ordnung mit Fürsten und Bischöfen. Im Schweizer und Süddeutschen Bereich wurde noch klarer, radikaler auf alles verzichtet, was nicht biblisch begründet war, und mit Zwingli, Calvin, Bullinger, Zell, Bucer, Oekolampad, Ursin und vielen anderen wurden keine Menschennamen neben das Evangelium gestellt. Die neue Kirche hieß einfach „reformiert“, „nach Gottes Wort reformiert“. 

 

„Gottes Wort“ ist bewusst das Alte und das Neue Testament, Psalmen werden als Gebete und als Lieder besonders wichtig, Psalmen, die uns auch heute noch im Inneren berühren: „Der Herr ist mein Hirte“ (Psalm 23), aber „das Wasser steht mir bis an die Kehle“ (Psalm 69)… 

 

Wichtig wird auch das Bilderverbot, weil der lebendige Gott und das Erleben mit ihm nicht von Menschen in Bilder gefasst werden können – also sind in reformierten Kirchen meist keine Bilder, die von der Predigt, dem Zentrum des Gottesdienstes, ablenken könnten. Auch die Liturgie, die Ordnung des Gottesdienstes, wird vereinfacht, damit die Predigt das Wichtigste bleibt.

 

Die Gemeinden in der „nach Gottes Wort reformierten“ Kirche sind seit Calvin, spätestens seit der Emder Synode 1571, bewusst selbstständig, geleitet von einem Presbyterium, das die Gemeindeglieder wählen und das dann für alles, auch die Wahl eines Pfarrers, zuständig ist. Nur das, was die einzelne Gemeinde nicht regeln kann, wird an die gewählte Synode (Kreis, Land) weitergegeben und von der eventuell dann an die Kirchenleitung. Leitung ist geschwisterlich, nie hierarchisch, Pfarrpersonen stehen nicht über, sondern in der Gemeinde. 

 

Keine Gemeinde darf über eine andere, kein Gemeindemitglied über ein anderes Vorrang oder Herrschaft beanspruchen. Alle Kirchenleitung erfolgt durch Presbyterien (Kirchenräte) und Synoden. Die Gemeinden ordnen ihre Angelegenheiten selbständig.(Emder Synode 1571)

 

Diese presbyterial-synodale Grundordnung gilt nach wie vor in unseren Landeskirchen.

 

Reformierte Christen schieben nicht das, was sie tun könnten, „denen da oben“ zu. „Weil Gott Gerechtigkeit schafft, sollen auch wir uns für gerechte Maßstäbe in dieser Welt einsetzen. Weil sich Gott zu den Niedrigen bekannt hat, darf die Kirche nicht nur mit den Einflussreichen und Mächtigen paktieren, sondern hat Anwältin der Schwachen zu sein. Der Heidelberger Katechismus sagt, dass wir gute Werke aus Dankbarkeit tun sollen - dankbar dafür, dass Gott selbst uns befreit und erneuert hat.“ (Plasger, Orientierungspunkt 8 in www.reformiert-info.de)

 

„Wichtig ist jedoch, dass der Staat und die Regierenden der Mitarbeit der Christen und in besonderer Weise der Fürbitte bedürfen – auch der Staat ist Teil der guten Schöpfung Gottes.“ (sieben oben, Orientierungspunkt 9)

 

„Reformierte Theologie ist immer eine „theologia viatorum“, eine Theologie derer, die selber auf dem Wege sind. Und deshalb lautet ein weiterer Hinweis - der weniger ein elfter Orientierungspunkt als mehr eine Erklärung der reformierten Landkarte ist -: ecclesia reformata semper reformanda: Die reformierte Kirche muss immer wieder reformiert werden“ (siehe oben), also immer wieder sehen, ob das, was läuft, auch in Bezug zu Christus und der Bibel steht.

 

"Wer nicht will, dass die Kirche sich verändert, der will nicht, dass sie bleibt.“ (Gustav Heinemann)

 

In der Leuenberger Konkordie 1973 einigten sich die reformierten, lutherischen und unierten Kirchen weltweit auf Abendmahlsgemeinschaft und Anerkennung der Ämter untereinander, unter Achtung der jeweilig verschiedenen Ansichten. Besonders beim Abendmahl war das lange Streitpunkt, aber wenn Gott einlädt, brauchen die Gäste nicht zu diskutieren.

 

Weltweit gibt es etwa gleich viele Lutheraner wie Reformierte, in Deutschland sind es weniger. Die ERK und die Lippische Landeskirche sind reformiert, in den „unierten“ Landeskirchen gibt es viele reformierte Kirchenkreise, ref. Gemeinden und ref. Einzelpersonen. Diese alle sind im Reformierten Bund zusammengeschlossen, der durch Hauptversammlungen, Besuche des Moderators Bernd Becker und viele thematische Veröffentlichungen in Buchform oder auf www.reformiert-info.de hilft, immer neu die Frage zu beantworten: Was ist reformiert?

 

 

© @privat

Marie Astrid Weiß, ehemalige Pfarrfrau und Lehrerin, ist auch im Ruhestand vielfältig engagiert in ihrer Kirchengemeinde (u.a. in der Frauen- und Seniorenarbeit). Sie liebt ihre Familie, ihren Garten und die Musik.

 

Dieser Artikel erschien in gekürzter Fassung zuerst im Gemeindebrief der Ev.-Ref. Emmaus-Kirchengemeinde Siegen. Vielen Dank der Autorin und dem Redaktionsteam für die Erlaubnis, ihn hier in voller Länge zu veröffentlichen.

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