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Vortrag mit Lesung zum Thema sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche
13.11.2025
„Sexualisierte Gewalt ist Realität, unsere Realität.“ Das machte Kerstin Grünert, Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Siegen-Wittgenstein, gleich zu Beginn eines Abends deutlich, der sich mit diesem Thema in Bezug auf die Evangelische Kirche auseinandersetzte. Sexualisierte Gewalt sei „kein Randthema, keine Einzelfrage, sondern ein Fakt, dem wir uns stellen müssen.“ Der Evangelische Kirchenkreis Siegen-Wittgenstein hatte daher gemeinsam mit der Evangelischen Martini-Kirchengemeinde Siegen und der Evangelischen Studierendengemeinde Siegen zu einem Vortrag mit einer Lesung eingeladen, der sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche thematisierte und eine Möglichkeit zum Zuhören und Dazulernen bot.
Als Referentin zu Gast war Prof. Dr. Ute Gause, die im Auftrag einer Landeskirche das Buch mit dem Titel „Gott habe ihm gesagt, er solle mich zur Frau machen. Missbrauch in der Evangelischen Kirche – eine Einzelfallstudie“ verfasste. Gause gab Einblicke in die historische Rekonstruktion des Falles mit dem sie sich auseinandersetzte. Sie stellte den Zuhörenden ihre Recherchearbeit und ihre Ergebnisse zu einem Fall vor, bei dem ein Pfarrer gegenüber mehreren Frauen ein „übergriffiges und unethisches Verhalten“ ausgeübt habe, das als sexualisierte Gewalt bezeichnet werden könne. „Die Dimension war umfassend“, sagte die Referentin. Es habe mehrere Übergriffe gegeben, mehrere betroffene Frauen, unzählige Gerüchte, die meisten Fälle seien nicht justiziable gewesen, Macht und Vertrauensverhältnisse seien aber ausgenutzt worden. Der Pfarrer habe manipuliert, ihm sei es um sexuelle Befriedigung gegangen, sagte Gause. Er sei ein guter Seelsorger gewesen, berichteten die betroffenen Frauen in Gesprächen mit der Kirchenhistorikerin. Er habe sie in seine Familie integriert, ihnen Ratschläge gegeben und ihr Selbstwertgefühl gesteigert. Die Frauen, die keine Beziehungen zu dem Pfarrer führen wollten, plagten Schuldgefühle und Scham. „Ich habe mich nur geschämt“, zitiert Gause eine Betroffene, aber der Pfarrer habe es immer wieder geschafft, ihr Gewissen zu beruhigen.
Bei ihrer Recherche hatte die Professorin mithilfe von Briefen und Predigten auch ein theologisches Profil des Pfarrers erstellt, das eng verbunden war mit der Ausübung von Macht und sexualisierter Gewalt. Theologie sei missbraucht worden, um die sexualisierte Gewalt zu legimitieren, beispielsweise mit Bibelstellen, erklärte Gause. Eine Betroffene, die sie interviewte, studierte später dennoch Theologie und machte mit Blick auf ihr Erlebtes deutlich: „Mit Gott hatte das nichts zu tun.“
Gause gab vor allem Einblicke in die Perspektive der betroffenen Frauen, die Gespräche mit ihr geführt hatten. Die Kirchenhistorikerin berichtete beispielsweise von einer Betroffenen, damals 20-jährige Studentin, die den Pfarrer zurückweisen konnte, aber dennoch hinterließ das Erlebte auch Jahre später tiefe Spuren, die mit starken Schuldgefühlen verbunden waren. Die Schilderungen einer zur Tatzeit 15-Jährigen hatte ein Gericht als erwiesen angesehen und es kam zu einer Verurteilung. Dem Angeklagten zugute gelegt worden sei, dass er bislang nicht vorbestraft gewesen sei, führte Gause aus: Ihm zulasten gelegt wurde, dass die Tat eine starke Auswirkung auf die Betroffene gehabt habe und Vertrauen missbraucht worden sei. Die Kirchenleitungen hätten lange geschwiegen, erklärte Gause. Es habe Gespräche gegeben mit der Kirchenleitung über Alkohol- und Eheprobleme des Pfarrers oder über den Umgang mit Frauen. Von konkreten und umfassenden Konsequenzen konnte sie nicht berichten. Erst sehr viel später habe es ein Disziplinarverfahren gegeben. Der Pfarrer äußerte, dass er sich habe vorstellen können, die Frauen zu heiraten – diese hätten das allerdings nicht, erläuterte Gause. Der Pfarrer selbst habe bis zum Schluss bestritten, dass er etwas Unrechtes getan habe.
Im Anschluss an den Vortrag hatten die Zuhörenden die Möglichkeit, Fragen zu stellen und sich auszutauschen. Musikalisch begleitet wurde der Abend von Cellist Tobias Schneider, der mit seinem Instrument und dessen eindringlichen Tönen, den Raum schaffte, um sich auf das Thema einzustimmen und um das Gehörte nachwirken zulassen.
Sarah Panthel



