News-Archiv

Wenn der Glaube nicht mehr ins eigene Leben passt
Warum junge Menschen ihren Glauben verlieren

20.3.2015

Eine gehörige Portion Selbstkritik war bei dem Vortag von Dr. Tobias Faix, Martin Hofmann und Dr. Tobias Künkler in einem Seminarraum der Universität Siegen am vergangenen Dienstag (17. März 2015) erforderlich. Die drei Wissenschaftler vom Institut Empirica, Marburg, stellten ihre Studie zum Glaubensverlust junger Menschen vor.

259 Fragebögen wurden im Zuge einer Onlinestudie unter 18 bis 35-jährigen ausgewertet. 91% der Befragten waren Kirchenmitglieder, 47,6% wurden christlich erzogen. 60% arbeiteten in einer christlichen Gemeinde mit, 95% ehrenamtlich und 5% hauptamtlich. Faix: „Wir haben Glauben nicht gemessen, aber das Gelebte beschrieben.“ Leitmotive, die zum Verlust des Glaubens führen, sind unterschiedlich. Moralische Einengungen und Verletzungen spielen eine Rolle, weiß der Theologe Faix. Berichtet wurde von psychischem, geistlichem und körperlichem Mobbing. Eine Aussage laute: „Christen sind nicht was sie singen.“ Von der gepredigten Freiheit und Gnade war für den Betroffenen nicht viel zu spüren.  Auch Denken und Zweifel hätten den Glauben bei Befragten in die Defensive gebracht, berichtete der Soziologe Tobias Künkler. „Mit Logik komme ich nicht weiter bei dem, was ich geglaubt habe“, laute eine der Reaktionen. Zudem seien unter den Befragten einige, bei denen sich ein Kinderglaube nicht zu einem reifen Erwachsenenglaube habe entwickeln können, so Martin Hofmann, ebenfalls Soziologe. Andere wiederum lebten in einer sonntäglichen Gemeindewelt und werktäglichen anderen Berufswelt. Irgendwann musste ein Bereich aufgegeben werden, weil beide Welten nicht mehr zueinander passten und sich eine Zerrissenheit entwickelte.

Beispielhaft trugen die Autoren erzählend und zitierend Auszüge aus den bewegenden Lebensgeschichten einer Frau und einem Mann vor, deren Namen abgeändert waren.  „Ines“, sehr engagiert, besuchte etliche charismatische Gemeinden. Sie war auf Erfolg ausgerichtet und fühlte sich zunehmend unter Druck gesetzt. Ihr leidenschaftlich-perfektes Bild vom Glauben und ihr perfektionistisches Gottesbild gerieten ins Wanken. Ein Zusammenbruch und eine Depression waren die Folge. „Ines“: „Ich muss einen Schlussstrich ziehen. Wenn ich mein Leben gewinnen will, muss ich meinen Glauben verlieren.“ An dieser Biographie werde deutlich, so der Theologe Faix, wie ein falsches Gottesbild Glauben zerstören könne.

„Patrick“ litt unter mangelnden Gotteserfahrungen. Andere berichteten von solchen Erfahrungen. Soziales Engagement gab ihm zu wenig. Sein Grübeln führte zu der Überlegung, ob Gott vielleicht doch nur eine menschliche Erfindung sei. Er distanzierte sich. Später bemerkte er, dass ihm etwas verloren gegangen war, dass er nicht ersetzen konnte.

Deutlich wurde, dass eine „Entkehrung“, so eine der verwendeten Begrifflichkeiten, sich über Jahre hinzieht. Beides, der Glaube als auch die „Entkehrung“ betreffen nicht nur eine Gemeindezugehörigkeit, sondern haben Einfluss auf das ganze Leben, da es mit Identität zu tun hat.

Faix machte deutlich, dass in den Gemeinden, um solche biographischen Entwicklungen zu vermeiden, Glauben, Zweifel und Identität stärker in den Blick genommen werden müssten. Faix: „Zweifel ist nicht der Stiefbruder des Glaubens, sondern sein Zwillingsbruder.“ Zudem plädiert er für eine Offenheit für die Vielfalt des Glaubens. Festgelegte Frömmigkeitsstile wirkten abgrenzend. Das Macht und Missbrauch vermieden würden, sei nicht selbstverständlich. Hierzu müssten auch Strukturen überprüft werden. In den Gemeinden solle ein mündiger Glaube gefördert und gestärkt werden. Dazu gehöre auch Selbstverantwortung.

Deutlich wurde, dass in Sachen Glaube nicht alles erklärbar ist. So wurde es als ein Geheimnis bezeichnet, wie Glauben entsteht und wie er beibehalten wird.

Die Veranstaltung wurde verantwortet von der Evangelischen Erwachsenenbildung, der Evangelischen Studierendengemeinde an der Universität Siegen und dem Synodalen Ausschuss für Gemeindeentwicklung des Evangelischen Kirchenkreises Siegen.

kp

Text zum Bild: (Foto Karlfried Petri)

Dr. Tobias Künkler, Martin Hofmann und Dr. Tobias Faix (im Bild von links) zeigten auf, aus welchen Gründen junge Menschen ihrem Glauben den Rücken kehren.

zurück zur Übersicht

get connected