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Die Realität des Grauens vergegenwärtigen
Gedenkstunde am Platz der Synagoge Siegen

13.11.2015

Die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Siegerland hatte für den 10. November zur alljährlichen Gedenkstunde am Platz der Synagoge Siegen eingeladen. Über 150 Bürgerinnen und Bürger waren der Einladung gefolgt und trafen sich am Ort des schrecklichen Geschehens. Am 10. November 1938 am helllichten Tag brannte in der Siegener Oberstadt die Synagoge.

Superintendent Peter-Thomas Stuberg in seiner Ansprache: „Wir stehen hier an einem Ort, der nur noch in der Erinnerung, im Gedenken besteht. Darin liegt unsere Pflicht: Die Realität des Grauens im Gedenken zu vergegenwärtigen.“ Von 1906 bis 1938 beherbergte die Synagoge die Siegener jüdische Gemeinde. Für etwa 200 Menschen war sie spirituelles Zentrum und ein Ort der Begegnung. Bei ihrer Erbauung, so Stuberg, habe der Gemeindevorsteher gesagt, sie solle den Glauben stärken, die Sittlichkeit fördern und die gute Tat verbreiten. Architektonisch habe sich die Synagoge mit ihrem Kuppelbau und der Schieferverkleidung ins Bild der Oberstadt eingeprägt. Stuberg: „So eingepasst wie die Architektur, so integriert waren auch die Menschen der jüdischen Gemeinde: Geschäftsleute, Handwerker, stadtbekannte Persönlichkeiten.“ Der zunehmende Antisemitismus erreichte einen Höhepunkt der Grausamkeit in der Pogromnacht am 9. November 1938. Einen Tag später, nachmittags, brannte in Siegen die Synagoge. Schaulustige ließen es geschehen. Die Feuerwehr verhinderte die Brandübergriffe auf die Nachbargebäude. Superintendent Stuberg: „Aus der Verborgenheit der vier Wände traten Meinungen hinaus ins öffentliche Licht. Ein Kipppunkt mit der Folge der Hetze gegen Minderheiten. Auf dieser Rampe nahm der Zug Fahrt auf. Millionen von Menschen wurden deportiert und ermordet. Die Gedenkstätte Auschwitz wurde das Symbol für die kulturelle Abgründigkeit.“

Sarah Saupe und Simon Heß, Schüler des Evangelischen Gymnasiums Siegen, erzählten von ihrem Besuch der Gedenkstätte im August dieses Jahres. Sie wollten wissen warum? Es sei wichtig, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Ein Schüler: „Wir junge Menschen können es uns nicht leisten, zu schweigen.“

Auf einem Stuhl neben dem Rednerpult saß die jüdische Zeitzeugin Alisa Tennenbaum. Sie hatte tags zuvor im Evangelischen Gymnasium aus ihrer Kindheit als Jüdin in der NS-Zeit erzählt, von den Willkürmaßnahmen der Nazis im Umgang mit den jüdischen Mitbürgern. Sie war ein acht Jahre altes Kind, als sie sich über Holland, England und Schottland durchschlagen musste. Sie wusste nicht, wer von ihrer Familie überlebt hatte und wer ermordet wurde. Ihre Appell: „Dies darf in keinem Volk mehr vorkommen.“

Superintendent Stuberg im zweiten Teil seiner Rede: „Das, was das nationalsozialistische Gedankengut bewirkt hatte, die Brandstiftung von Synagogen und das Ermorden vieler Millionen Menschen – das scheint mancherorts wieder einen Kipppunkt ins öffentliche Licht zu haben. Brandstiftung beginnt im Kopf.“  Es sei unerträglich geworden, so der leitende Theologe des Ev. Kirchenkreises Siegen, gerade vor einem Ort wie diesem, festzustellen, dass einige Rechtsradikale Flüchtlingsunterkünfte in Brand setzten, dass Gewalt gegen Minderheiten ausgeübt werde und Flüchtlinge Gefahr für Leib und Leben fürchteten.

Ein Ort wie dieser mahne zur Toleranz, zum friedlichen Umgang, zum Respekt vor dem Anderen und zum Schutz der Schutzbedürftigen. Er mahne an das hohe Gut, dass seinen Niederschlag im Grundgesetz gefunden habe: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Hier werde nicht nach Nationalität unterschieden.

Um in diesem Geist ein gelingendes Miteinander zu suchen, dazu sei es wichtig diesen Ort an diesem Tag aufzusuchen, innezuhalten, der Opfer zu gedenken und für ein friedvolles Miteinander einzutreten. Stuberg zitierte abschließend die Losung der Herrnhuter Brüdergemeine des vergangenen Sonntags: „Wie ein Einheimischer soll euch der Fremde gelten, der bei euch lebt. (3. Mose 19, 34).

Zum Schluss der Gedenkveranstaltung sprach Alon Sander, der jüdische Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, das Kaddisch-Gebet. Anschließend legte die jüdische Zeitzeugin Alisa Tennenbaum mit zwei Schülern des Evangelischen Gymnasiums am Ort der ehemaligen Synagoge einen Kranz nieder.

 

kp

 

Text zum Bild: (Foto Karlfried Petri)

Die jüdische Zeitzeugin Alisa Tennenbaum (Bildmitte) legte am Platz der Synagoge Siegen mit Simon Heß, einem Schüler des Evangelischen Gymnasiums, einen Kranz nieder. Rechts im Bild Superintendent Peter-Thomas Stuberg, der die Ansprache hielt.

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