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Jahresempfang der EFL
Wie drücke ich aus, was in mir ist?
30.11.2015
Viele Unterstützer und Freunde der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle (EFL) des Evangelischen Kirchenkreises Siegen erlebten gestern (26. November 2015) in der Martinikirche Siegen eine besondere und eindrückliche Sicht auf die Arbeit der evangelischen Beratungsstelle. „Wie drücke ich aus, was in mir ist?“, lautete das Thema des Abends. Damit rückten menschliche Ausdruckformen innerer Befindlichkeiten in den Focus beim Jahresempfang der EFL. Dies gehöre zum Alltagsgeschehen zwischenmenschlicher Gespräche, wie sie täglich zwischen Beratenden und Klienten stattfänden, bemerkte Superintendent Peter-Thomas Stuberg in seinem Grußwort. Ein herzliches Dankeschön an die vielen Unterstützer der Beratungseinrichtung kam zu Beginn des intellektuell unterhaltsamen Abends von Annette Mehlmann, der Leiterin der Einrichtung.
Räume drücken etwas aus. So auch eine alte Kirche, in der über 40 ausdrucksstarke Kalligrafien hingen, die der Kalligraf Gerd Doege angefertigt hatte und die zugunsten des Fördervereins der EFL erworben werden können. Von diesem Angebot machten einige Besucher Gebrauch, so dass bereits ein Viertel der Ausstellungsstücke den Besitzer wechselten.
Zu einem Zugang zu der besonderen Schriftkunst verhalf der Vortrag „Schrift und Bild“ von Prof. Dr. Ralf Schnell. Der Literaturwissenschaftler und ehemalige Rektor der Universität Siegen verstand es, das Handwerkliche, das Künstlerische und Bedeutungen der Schriftkunst im Allgemeinen, aber auch bezogen auf einige ausgestellte Exemplare zu vermitteln. Kalligrafie ist die Kunst des schönen Schreibens. Es ist der stilvolle Ausdruck eines klugen Gedankens mit dem zutreffenden Charakter einer Schrift. Dabei wird das Bild zur Schrift und die Schrift zum Bild. Anhand von Beispielen zeigte und beschrieb er unterschiedliche Ausdrucksformen in der Kalligrafie und nahm die Besucher in eine Möglichkeit des Verstehens hinein. Die ausgestellten Werke zeigten die Bildung und die Belesenheit des Kalligrafen. Schnell: „Nehmen Sie sich Zeit, um wahrzunehmen, um nachzulesen und nachzuspüren, was es in Ihnen auslöst.“
Während nun die Besucher die Möglichkeit hatten, sich die Ausstellung anzusehen und den Schriftbildern nachzuspüren, musizierten Susanne Kinzel (Oboe) und Kirchenmusikdirektor Ulrich Stötzel (Cembalo) Musikstücke, die mit der Ausstellung korrespondierten.
Für den zweiten Teil des Empfangs, nahm Prof. Dr. Hanns-Josef Ortheil im Chorraum der Kirche Platz. Die sonore Stimme des Schriftstellers, Literaturpreisträgers und Professors für Kreatives Schreiben an der Universität Hildesheim erfüllte das Kirchenschiff. Ortheil las, passend zum Thema des Jahresempfangs, aus seinem neuen autobiographischen Roman „Der Stift und das Papier“. Zwischen seinem dritten und siebten Lebensjahr habe er nicht gesprochen, verriet der Schriftsteller. Im Alter von
7 ½ Jahren, als er in der Schule Schreiben nicht gelernt und nur Weniges verstanden hätte, habe sich sein Vater Zeit für ihn genommen. Eindrücklich und humorvoll schilderte er beispielsweise von den Naturspaziergängen, bei denen sein Vater ihm mit liebenswürdiger Gewalt das Sprechen beigebracht habe. In einer Jagdhütte im Westerwald lernte das Kind unter der Anleitung seines Papas, einem Vermessungsingenieur, mit Bleistift auf Pauspapier zu schreiben. Liebevoll wird geschildert, wie unterschiedliche Bleistifte gespitzt wurden. Erste Zeichnungen entstanden. Das Kind musste ein Gefühl für den Bleistift bekommen. Erste Wörter entstanden, gepaart mit präzisen Beobachtungen, die nach und nach zu Papier gebracht wurden. Ortheil: „Ich konnte am Anfang nur Substantive. Es entwickelten sich Hauptsätze. Nebensätze sind mir bis heute noch verdächtig.“ Das Kind entdeckte den großen Spaß am Schreiben mit dem es zugleich lernte, die Welt zu begreifen. Heute erscheinen Ortheils Bücher in hohen Auflagen und wurden in über 20 Sprachen übersetzt.
In einer Gesprächsrunde, an der Dr. Hanns-Josef Ortheil, Dr. Ralf Schnell, Annette Mehlmann und Gerd Doege teilnahmen, moderiert von Dr. Gisela Labenz, wurde die Ausdrucksform des Schreibens und des sich Ausdrückens thematisiert. Zur Beratungsarbeit in der EFL gehöre es, so Annette Mehlmann, den Menschen, die sich mitteilen möchten, Wege zu eröffnen, aus der eigenen Isolation herauszutreten. Gerd Doege skizzierte, welche Bedeutung für ihn die Kalligrafie hat. Nach einem unruhigen Berufsleben als Technischer Direktor des RWE entdeckte er die Kalligrafie als Möglichkeit, sich auf einen Punkt zu reduzieren. Zunächst habe er lediglich kopiert, später im meditativen Schreiben Formen entwickelt und eigene Kalligrafien entstehen lassen.
Die verbliebenen Schriftbilder der Ausstellung sind noch bis zum 13. Dezember im Rahmen der Gottesdienste in der Martinikirche zu sehen und zu erwerben.
kp
Text zum Bild: (Foto Karlfried Petri)
Kunst, Literatur und Beratung fanden auf dem Jahresempfang der Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle des Ev. Kirchenkreises Siegen zueinander.
Im Bild von links: Prof. Dr. Ralf Schnell, Prof. Dr. Hanns-Josef Ortheil, Annette Mehlmann, Dr. Gisela Labenz, Gerd Doege und Superintendent Peter-Thomas Stuberg
Superintendent Peter-Thomas Stuber und die Leiterin der EFL Annette Mehlmann begrüßten die Förderer und Freunde.
Prof. Dr. Ralf Schnell führte in die Kunst der Kalligrafie ein.
Prof. Dr. Hanns-Josef Ortheil las aus seinem neuen Roman "Der Stift und das Papier".
KMD Ulrich Stötzel und Susanne Kinzel musizierten trugen Musikstücke vor, die mit der Ausstellung korrenpondierten.
Im Gespräch erfuhren die Zuhörer etwas über den Kalligrafen Gerd Doege.
Im Bild von links: Gerd Doege, Hanns-Josef Ortheil, Annette Mehlmann, Ralf Schnell und die Moderatorin Gisela Labenz.