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Weihnachten im Gefängnis und im Obdachlosencafé
26.12.2016
Weihnachten im Gefängnis hat seine eigene Atmosphäre: Tannenbaum, Adventskranz und Kerzen kämpften am Tag vor Heiligabend in der Attendorner JVA tapfer gegen die Kahlheit des weiß gestrichenen, vergitterten Raumes.
Darin rund 50 Männer jedes Alters, fast alle im Anstaltsoutfit: dunkelblaue Jogginghose und dunkelblauer Pullover. Männer, die weit über 20 Stunden am Tag eingeschlossen in einem kleinen Raum verbringen, die meisten allein. Auch an Weihnachten.
JVA-Leiter Ulf Borrmann zollte den Inhaftierten "Respekt und Dank" für ein weitgehend kooperatives Jahr. Außer den Gefängnispfarrern Kazimierz Dabrowski (katholisch) und Lutz Greger (evangelisch) gestalteten die ehrenamtlichen Gefängnisseelsorger Katja Grüne und Rainer Elkar die Feier mit; ebenso vier Blechbläser, teils Beamte und Pensionäre der JVA.
"Gott kommt nicht zu Besuch - er bleibt."
"Heiligabend ist ein sehr spezieller Tag, um allein zu sein", begann Peter-Thomas Stuberg, Superintendent des Kirchenkreises Siegen, seine Predigt. "Selbst wer sonst wenig emotional ist, wünscht sich an diesem Tag menschliche Nähe." Selbst Besuch helfe nur kurz, denn "der geht ja wieder." Gott komme an Weihnachten nicht zu Besuch. Er sei Mensch geworden, "um zu bleiben und bei uns zu wohnen." Als Erste sehen durften das damals die Hirten – auch nicht die High Society ihrer Zeit. Harte Tagelöhner, die sich durchschlagen mussten. "Auch 'ne Leistung", rief einer der Inhaftierten in den Raum.
Auch drei der Inhaftierten beteiligten sich und lasen die Weihnachtsgeschichte vor. Manche kamen nach Ende der Feier auch nach vorn und nutzten die Gelegenheit, sich bei allen Mitwirkenden zu bedanken – bevor sie zurück in die Hafträume gehen mussten, um dort die Feiertage allein zu verbringen.
Während in der JVA jeder seinen Sitzplatz hatte, gab es tags drauf, an Heiligabend, im Café Patchwork in Siegen fast keinen Stehplatz mehr. Das Café ist eine Einrichtung der Obdachlosenhilfe. Teilweise schon mehrere Stunden hatten die Gäste Schlange gestanden, um an der Feier teilzunehmen und das wie immer von der evangelischen Frauenhilfe zubereitete kalte Buffet zu genießen. Der Andrang war so groß, dass vor der Tür ein zusätzliches Zelt aufgestellt worden war.
Außer den Gästen waren alle Mitarbeiter, zahlreiche Spender und Vertreter der Diakonie gekommen. Auch der Chor Gospel Community Siegen war erneut dabei und hatte sich nicht einmal vom Ausfall seines Chorleiters stoppen lassen. Dicht gedrängt im niedrigen Küchenbereich sang der Chor so gefühl- und kraftvoll seine Lieder, darunter zu Beginn "Herr, wohin sonst sollten wir gehen?", dass manchem Zuhörer sichtbar die Tränen in die Augen stiegen.
Das wertvollste Geschenk
Superintendent Stuberg, der die Andacht hielt, hatte eine leere Kiste mitgebracht. "Für manche ist Weihnachten ja das Fest der Kisten und Geschenke..." Wofür er gleich engagierten Widerspruch erntete: "Nein, das Fest der Liebe sagt man doch." Ja, das sei richtig, bestätigte Stuberg. Manche jedoch sähen in Weihnachten eben nur Geschenke. Aber dann – er drehte die offene Kiste um – "bleibt Weihnachten leer."
Stuberg ließ das elektrische Licht ausschalten und stellte eine brennende Kerze in die Kiste, die derweil vom kleinen Jonathan zuverlässig gehalten wurde. Das sich in der leeren Box ausbreitetende Licht erhellte den Raum. "Wenn das Licht der Liebe Gottes in meinem Leben scheint, dann ist es hell darin. Dann ist es sogar unwichtig, ob ich noch andere Weihnachtsgeschenke bekomme."
Schließlich zeigte sich, dass die Kiste bei der Ankunft doch nicht ganz leer gewesen war – in ihr war ein hölzerner Engel gereist, den die Strafgefangenen der JVA Stuberg am Tag zuvor geschenkt hatten. Weil der Engel den Gästen im Café Patchwork so gut gefiel, wird er dort ein neues Zuhause finden.
Es schien, als ob die Weihnachtsfeiern, die Lieder, Worte und das Gemeinschaftserlebnis ein paar bleibende Eindrücke hinterlassen hätten. Allemal bei denen, die danach selbst entscheiden konnten, wo sie hingehen – mit etwas Glück in eine warme Wohnung und zu nahestehenden Menschen.
Wo es für einen Chor in einer mehr zweckmäßigen als schönen Küche eigentlich zu eng ist, wo Posaunen in einem kahlen Raum eigentlich ein wenig zu laut sind und der Gesang der Gäste auch mal Gebrumm (oder stumm) ist – an solchen Orten ist Weihnachten anders, als die meisten es kennen. Aber irgendwie auch besonders nah an seinem Ursprung.
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Fotos:
Seit Jahren tritt die Gospel Community Siegen (im Bild ein kleiner Teil) zu Weihnachten im Café Patchwork auf und sorgt für Power und viel Gefühl.
Foto Übersichtsseite: Gefängnispfarrer (ev.) Lutz Greger (l.) und Superintendent Peter-Thomas Stuberg in der JVA Attendorn.
Text und Fotos: Stefanie Bald