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Lutherrallye für Schulklassen
9.5.2017
Seit Ende April kann man regelmäßig dienstags und donnerstags Schulklassen durch die Siegener Oberstadt pilgern sehen. Auf den Spuren von Martin Luther nehmen sie an einem Projekt teil, das die Stadtbibliothek Siegen in Kooperation mit der katholischen Pfarrgemeinde St. Marien und der Ev. Nikolai-Kirchengemeinde entwickelt hat.
Drei Luther-Stationen: lernen, schreiben, sprechen
Die Schulklassen besuchen zunächst die katholische St.-Marien-Kirche. Dort heißt es: „Luther lernt“. Als Mönch und Gott-Sucher zu Beginn des 16. Jahrhunderts setzte sich Martin Luther zum einen mit den Angst machenden Predigten der Ablasshändler auseinander, zum anderen aber begegnete er im Studium der heiligen Schrift sowie in der Theologie Augustins der Botschaft von der Liebe Christi. Als „guter Katholik“ also stellte er den Ablasshandel in Frage und löste damit ungewollt die Reformation und später die Spaltung der abendländischen Kirche aus.
Von der Marienkirche geht es weiter zur Stadtbibliothek im Krönchencenter. Hier steht Luthers Bedeutung für die Entwicklung der „teutschen“ Sprache im Mittelpunkt: „Luther schreibt“. Die Schülerinnen und Schüler begeben sich praktisch-detektivisch auf die Spuren des Wort- und Schrift-Reformators.
Mit seiner Übersetzung der Bibel ins Deutsche hat er unsere Sprache und Kulturgeschichte entscheidend geprägt, aber auch den Menschen einen direkten Zugang zu ihren religiösen Traditionen ermöglicht. Der souveräne Umgang mit Wort und Schrift ist auch heute unerlässlich für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
In der evangelischen Nikolaikirche schließlich geht es um den predigenden und lehrenden Luther: „Luther spricht“. Die Entdeckung der bedingungslosen Liebe Gottes als Basis des christlichen Glaubens hat Luther vom schüchternen Mönch zum selbstbewusst-streitbaren Bibelausleger werden lassen. Erzählt wird die Geschichte einer mutigen Persönlichkeit – auf der mächtigen Nikolai-Kanzel können sich die Kinder selbst als solche ausprobieren.
Reformation - ökumenisch erzählt
Besonders an diesem Projekt ist zum einen, dass Reformationsgeschichte ökumenisch erzählt wird. Es geht nicht darum, wie in früheren Zeiten, Katholisches und Evangelisches gegeneinander zu stellen und sich vom anderen abzugrenzen. Sondern es wird deutlich, dass die evangelische Reformation ihre Wurzeln in katholischer Theologie hat.
So lernen die Kinder die Ursachen für die Existenz zweier großer Kirchen zwar als tragische Entwicklung mit dramatischen Folgen kennen, jedoch werden sie sie auch als einen organischen Prozess verstehen und den späteren Wandel vom Gegeneinander zum Miteinander nachvollziehen können.
Bibliothek beleuchtet die weltliche Seite
Zum anderen besonders ist die Initiative der Stadtbibliothek. Sie öffnet den Blick über den religiösen Tellerrand hinaus auf Luther als kulturgeschichtliche Größe und macht das Rallye-Angebot nicht nur für den christlichen Religionsunterricht, sondern auch darüber hinaus interessant.
Haben auch muslimische Kinder oder Kinder ohne religiösen Hintergrund etwas davon, die Geschichte Martin Luthers kennenzulernen? Lässt sich die Suche nach Gottes Wahrheit und der unbeugsame Drang nach persönlicher Freiheit und Verantwortung, die damals zu Konfrontation und Krieg führten, heute auch mit friedlichen Mitteln bewerkstelligen und kann das Wissen um Martin Luther Positives dazu beitragen?
Spannende Fragen ergeben sich aus dem Projekt.
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Foto: So sehen die Finger aus, wenn man wie zu Luthers Zeiten mit Feder und Tinte schreiben muss. Auch das probierten die Kinder in der Stadtbibliothek aus.
Text: Pfarrerin Annegret Mayr
Foto: Stefanie Bald