News-Archiv
Von einer überzeugten Kommunistin in Lettland zur lutherischen Pfarrerin im Siegerland
Ordination von Dr. Sandra Gintere in der Ev. Kirche Wilden
18.10.2017
"Die heutige Ordination ist etwas Besonderes. Das kommt nicht alle Tage vor“, so Superintendent Peter-Thomas Stuberg am vergangenen Sonntag (15. Oktober 2017) in der Ev. Kirche in Wilden. Dr. Sandra Gintere ist die erste lettische Theologin, die in der Evangelischen Kirche von Westfalen ordiniert wird. Das heißt, von der Landeskirche zur Verkündigung und Sakramentsverwaltung beauftragt.
Der Weg bis dahin war unvorstellbar und weit. Die Theologin, Fachfrau für Kirchengeschichte, hat in Lettland an der Luther-Akademie zwar Pfarrer ausgebildet, durfte aber selbst keine Pfarrstelle übernehmen, da die Evangelisch-Lutherische Kirche Lettlands die Frauenordination ablehnt. In der Evangelischen Kirche von Westfalen, in einem anderen Kulturraum beheimatet, ist das anders. Und so konnte Sandra Gintere nach einem Jahr Vikariatszeit bei ihrem Mentor Pfr. i. R. Christoph Dasbach von Superintendent Stuberg ordiniert werden. Ihren Dienst wird Pfrn. Gintere zunächst in Burbach antreten und eine Vakanzvertretung übernehmen.
Stuberg merkte in seiner Ordinationsansprache an, dass die Evangelisch-Lutherische Kirche in Lettland zwar klein und marginal, jedoch sehr ausstrahlungskräftig sei. Die Evangelische Kirche von Westfalen sei eine Kirche öffentlichen Rechts und übernehme auch Verantwortung in der Gesellschaft. Die westfälische Landeskirche habe 2 Mio. Mitglieder, der Eva. Kirchenkreis Siegen 120.000. Die Pfarrer müssten über eine große Professionalität verfügen. Dazu kämen eine verbindliche Struktur und eine öffentliche Transparenz. Stuberg: „Dieser Beruf fordert einen ganz. Persönlich, zeitlich und in der Professionalität.“
Anschließend wurde Pfrn. Dr. Sandra Gintere von Superintendent Peter-Thomas Stuberg durch Handauflegen und Gebet zur Verkündigung und Sakramentsverwaltung in der westfälischen Landeskirche ordiniert. Ihren Ordinationsspruch wählte Gintere aus dem Jesajabuch: „So hoch der Himmel über der Erde ist, so hoch erhaben sind meine Wege über eure Wege und meine Gedanken über eure Gedanken“ spricht der Herr. (Jesaja 55, 9)
Nicht von ungefähr hat sich die Theologin diesen Vers zu ihrer Ordination ausgewählt. Gintere: „Sie sind Teil meiner Biographie geworden, meiner persönlichen Überzeugung und sogar meiner theologischen Einstellung. Ich habe es hautnah erlebt an Leib, Seele und Geist, dass Gottes Gedanken, Absichten und Pläne absolut konträr zu den meinigen waren.“ Und dann beginnt Sandra Gintere, aus ihrem Leben zu erzählen. Aufgewachsen in Lettland nach der kommunistischen Besetzung. Damit verbunden war der Atheismus als verordnete Staatsreligion. Gintere: „Wenn ich zurück auf meinen Lebensweg schaue, kann ich nur dankbar und staunend zugleich erkennen, wie Gott meine Wege von einer jungen überzeugten Kommunistin bis hierhin zur ordinierten Pfarrerin gelenkt hat.“ In ihrer Generation war es in Lettland üblich, dass man nach dem Abitur mit etwa 18 Jahren ein Studium wählte, was meist in einen lebenslangen Beruf mündete. Gintere: „Zu dieser Zeit hatte ich noch nie etwas von Christus oder dem christlichen Glauben gehört. Durch mein Elternhaus und die Schule wurde ich in der atheistischen Ideologie erzogen. Folglich war es nur logisch, dass ich meiner Heimat Lettland dienen wollte, indem ich es in eine glückliche Zukunft unter dem Kommunismus führen wollte.“ Sie studierte Geschichte an der Universität in Riga, wo junge Menschen für eine kommunistische Leitungsfunktion ausgebildet wurden, mit dem Fernziel, in Moskau als Parteisekretäre ihre Karriere und ihren beruflichen Aufstieg fortzusetzen. Die heutige Theologin: „Gott machte einen Strich durch meine Lebensplanung, meine Lebensbilder und meine Zukunftsvorstellungen.“ Ihr Mitwirken am Bau des Kommunismus wurde abrupt unterbrochen. Nach ihrem 5-jährigen Studium erhielt sie nicht, wie geplant und verabredet, die leitende Stelle im Kommunistischen Jugendbüro Lettlands, sondern landete zunächst am Gymnasium Nr. 31 in Riga. Für sie eine tiefe Enttäuschung und große Ungerechtigkeit. Was sie nicht ahnte, an diesem Gymnasium erteilte ein junger Lehrer Chemieunterricht, der ein überzeugter Christ war. Der erste Christ, dem sie in ihrem Leben begegnete. Gintere: Er hat mir eine Bibel in die Hand gegeben und mir vorgeschlagen, doch mal darin zu lesen.“ Für sie war der Naturwissenschaftler, der samt seiner Familie an Gott glaubte und zur Kirche ging, eine Herausforderung. Von so etwas hatte sie noch nie gehört. An dieser Stelle merkte sie an: „Heute ist dieser damalige junge Chemielehrer der Erzbischof der Ev.-Luth. Kirche Lettlands und wir haben später fast 20 Jahre lang zusammen am Aufbau unserer lettischen Kirche und der Luther-Akademie gearbeitet.“
Der junge Chemielehrer bereitete sie auf die Taufe und Konfirmation vor. Gintere: „In der Taufe durfte ich dann meine geistliche Neu-Geburt erleben. Ein älteres christliches Ehepaar, sie nennt sie ihre geistlichen Eltern, begleitete ihre ersten Schritte als Christin. In der damaligen Sowjetunion durften Christen keine wichtigen Ämter begleiten. Sie waren vom gesellschaftlichen Leben weitgehend ausgeschlossen. Daher war sie nach ihrer Taufe bemüht, ihr christliches Leben möglichst still und unauffällig zu leben. Sandra Gintere: „Selbst in meinen kühnsten Träumen konnte ich mir nicht vorstellen, dass Lettland einmal wieder ein freies Land würde und dass die Kirche wieder eine wichtige Rolle einnehmen würde.“ Als 1991 Lettland frei wurde, konnte sie an der neu gegründeten Theologischen Fakultät studieren. Es folgte ein Studium in Erlangen und in den USA konnte sie einen Doktorgrad der Theologie erwerben. Sie wurde zur Dozentin und Leiterin der Luther-Akademie in Raga berufen. Die Pastorin: „Entscheidender und prägender als das Studium und mein Doktorgrad war für mich die einfache Tatsache, dass ich von meinen geistlichen Eltern meine erste eigene Bibel geschenkt bekam und ich ganz persönlich erfahren habe, dass die Heilige Schrift Gottes lebendiges Wort ist, das den Glauben weckt und bewahrt. In der Beschäftigung mit dem Wort Gottes habe ich die verändernde und verwandelnde Kraft Gottes erlebt, aber auch gesehen, wie wichtig unser geistliches Zeugnis ist und welche zentrale Aufgabe darin besteht, Menschen auf ihrem Glaubensweg zu begleiten, ihnen Vater und Mutter oder Bruder und Schwester zu sein.“
Für sie ist es immer noch wie ein frommer Traum, dass sie nun als evangelische Pfarrerin in der Evangelischen Landeskirche von Westfalen ordiniert ist und hier arbeiten darf. Gintere: „Mir bleibt nichts anderes übrig als zu staunen und zu danken. Gottes Gedanken sind nicht meine und seine Gedanken und Wege sind hoch erhaben über meinen eigenen Gedanken und Plänen.“
Im Anschluss an den Ordinationsgottesdienst hatte die Kirchengemeinde Wilden zu einem Empfang geladen.
kp
Text zum Bild oben: (Foto Karlfried Petri)
Pfarrerin Dr. Sandra Gintere wurde von Superintendent Peter-Thomas Stuberg in der Ev. Kirche Wilden ordiniert.
Im Bild v. li.: Pfr. i. R. Christoph Dasbach, Pfrn. Sr. Sandra Gintere, Superintendent Peter-Thomas Stuberg und Prädikantin Helga Niersberger