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Trägt man im Himmel Hausschuhe?
Umgang mit Sterben und Trauer
bei Kindern und Jugendlichen
15.11.2018
„Eine der schwersten Situationen für einen Seelsorger ist es, hinter einem kleinen Kindersarg herzugehen“, bemerkte Pfarrer Michael Junk in der vergangenen Pfarrkonferenz. „Dieses Haus erscheint mir nicht als ein Haus der Trauer. Hier nehme ich große Fröhlichkeit war.“ Superintendent Peter-Thomas Stuberg hatte für die Pfarrkonferenz der Pfarrerinnen und Pfarrer am vergangenen Mittwoch (14.11.2018) in das Kinder- und Jugendhospiz Balthasar in Olpe eingeladen. Das befindet sich noch im Einzugsbereich des Ev. Kirchenkreises Siegen, der sich bis Olpe und Drolshagen erstreckt. „Das Haus in Trägerschaft der Olper Franziskanerinnen hat in der Öffentlichkeit eine hohe Reputation und Anerkennung“, so der leitende Geistliche des Kirchenkreises. „Die Seelsorge im Pfarrdienst ist von der besonderen Problemstellung im Umgang mit Sterben und Trauer bei Kindern und Jugendlichen ab und an auch betroffen.“ Man hoffte von der reichhaltigen Erfahrung in dem Haus lernen zu können.
Für ein kompetentes Fachgespräch standen Rüdiger Barth, Hospizleitung, und Birgit Halbe, unter anderem Trauer- und Kindertrauerbegleiterin, Rede und Antwort.
Im Kinder- und Jugendhospiz, so erfuhren die Pfarrer, geht es nicht nur um sterbenskranke Kinder und Jugendliche, die hier auch medizinisch kompetent und umfassend versorgt werden. Ganze Familien werden für eine Zeit als Gäste aufgenommen. In den Blick kommen die Eltern. Sie erleben Entlastung und Ruhe, können die Versorgungsverantwortung abgeben und erhalten pflegerische Anleitung, Infos und Beratung. Es können Einzel- und Gruppengespräche wahrgenommen werden. Und Betroffene tauschen sich untereinander aus. In dem Haus wird Trauerarbeit geleistet und Eltern erfahren psychosoziale Unterstützung. Man setzt sich mit Krankheit und Sterben auseinander. In Ruhe können Beerdigungen vorbereitet werden. Auch nach der Beerdigung werden Familien in nachgehender Trauer begleitet. Bis zu einem Jahr später haben manche Familien regelmäßig Kontakt zum Hospiz. Es gibt jahrelange Beziehungen zum Haus.
In den Blick kommen aber auch Geschwisterkinder. Sie werden in ihrer Trauerbewältigung unterstützt. Barth: „Da kommen Fragen wie „Gibt es im Himmel Nutella?“ oder „Trägt man im Himmel Hausschuhe? Sonst werden doch die Wolken schmutzig.“ oder „Wo geht der hin?“. Geschwisterkinder öffneten sich anderen Menschen gegenüber leichter als gegenüber den Eltern. Im Hospiz würden ihnen Erlebnis- und Freizeitangebote gemacht, aber auch bei der Trauerarbeit geholfen. Es gebe zudem eine vorauseilende Trauerarbeit. Nicht selten seien ihr Bruder oder ihre Schwester über Jahre hinweg krank. Das betreffe natürlich auch die Eltern. Spezielle Themenabende informierten. Spirituelle Angebote würden vorgehalten. Barth: „Christliche Inhalte sind uns wichtig.“ Es werden Gottesdienste und Feste gefeiert. Ein fünfjähriges Kind wurde getauft. Von jedem verstorbenen Kind bleiben in der Einrichtung Spuren der Erinnerung. Barth: „Die Trauerarbeit beinhaltet Mitgehen, Aushalten sowie Unterstützen und das bezogen auf unterschiedliche Kulturen.“ Es gibt einen schön gestalteten Raum zum Abschied nehmen. Es gibt Familien, die fahren vom Hospiz zur Beerdigung und erleben danach noch eine Zeit im Hospiz.
In dem 20-jährigen Bestehen waren 846 Familien zu Gast, 382 Kinder verstarben, davon auch etliche Zuhause. 302 Familien kommen aus einem Umkreis von 150 bis 200 km angereist.
Ein großes Problem sei es, so Barth, Pflegekräfte zu bekommen. Zudem bleibe die Finanzierung eine große Herausforderung. 50% der entstehenden Kosten müssten aus Spenden finanziert werden.
Die klassische Krankenhausseelsorge gebe es im Kinder- und Jugendhospiz nicht, berichtete Birgit Halbe. „Im Kinder- und Jugendhospiz werden Wortgottesdienste, Rituale und Gebete angeboten.“ Dazu gehören die Feste im Kirchenjahr, die gedeutet und gefeiert werden. Individuelle Angebote kommen auf Nachfrage hinzu. Halbe: „Selten wird der Wunsch nach einer Ordensschwester oder einem Pfarrer geäußert. Es passiert, dass der Kontakt zur eigenen Kirchengemeinde durch die Erkrankung des Kindes verloren geht.“ Im Gespräch mit Betroffenen seien ausweichende Antworten nicht hilfreich. Auch die Frage nach der Lebensperspektive Erkrankter müsse in Offenheit beantwortet werden. Im Kinderhospiz werden Kinder von 0 bis 16 Jahren aufgenommen. Die Begleitung erfolgt ab der Diagnose einer unheilbaren Krankheit. Da durch medizinische Fortschritte auch bei unheilbar kranken Kindern eine zunehmende Lebenserwartung bestehen kann, wurde das Jugendhospiz erforderlich. Hier werden Jugendliche im Alter von 16 bis 25 Jahren begleitet. Die Kinder und Jugendlichen sind in den Häusern immer mal wieder für eine gewisse Zeit zu Gast und können dann wieder nach Hause gehen. Die letzte Lebensphase findet im Hospiz statt.
Die Problemlage bei Familien mit einem sterbenskranken Kind ist kumulativ, erfahren die Seelsorger. Da ist die Belastung der Pflege rund um die Uhr. Nur wenige Partnerschaften halten das aus. 70% aller Partnerschaften gehen in seiner solchen Situation in die Brüche, haben Untersuchungen ergeben. Dann entstehen zu allen Schwierigkeiten auch noch finanzielle Probleme. Von den zusätzlichen Belastungen der Geschwisterkinder ganz zu schweigen. Barth: „Hier ist professionelle Hilfe nicht selten unerlässlich.“ In solchen Situationen ist auch das Angebot der Ehe-, Familien- und Lebensberatung des Kirchenkreises Siegen eine erste Adresse, auf die verwiesen wird.
Im Gespräch wird deutlich, dass allzu leicht Geschwisterkinder in den Familien aus dem Blick geraten. Alles dreht sich um das kranke Kind. Verstorbene Kinder werden idealisiert. Birgit Halbe weiß aus ihrer Arbeit, dass Freunde nicht mehr zu Besuch kommen. Familien werden isoliert. Wie soll man mit ihnen umgehen? Freunde sollten sich nicht beirren lassen, rät sie. Es bedürfe eines langen Atems des immer mal wieder Nachfragens. Irgendwann öffne sich eine Familie wieder dem Leben. Halbe: „Es hilft, ab und an anzurufen. An Geburtstagen, am Todestag. Den Namen des verstorbenen Kindes zu nennen.“
Die Mitarbeitenden im Kinder- und Jugendhospiz leisten eine psychisch schwere Arbeit. Barth: „Den Mitarbeitenden muss es dabei gut gehen.“ Es gebe Supervision und Beratung. Fortbildungen qualifizieren Mitarbeitende. Bei Einstellungsgesprächen gehe es um Sterben und Tod, wie man dazu stehe und es gehe um Verluste im Leben. Barth: „Hospizarbeit ist eine Haltung. In dieser Arbeit muss man auch auf sich selbst aufpassen.“
kp
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Sterben und Trauer bei Kinder und Jugendlichen. Ein schweres Thema hatte sich die Siegener Pfarrkonferenz vorgenommen und fand im Kinder- und Jugendhospiz kompetente Beratung. Foto: Karlfried Petri