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Gott sagt Ja und Nein
Vortrag über die Theologie Karl Barths in Deuz
27.1.2020

Wer ist Gott? Liebender Vater oder doch der ganz Andere, Fremde? Gnädiger Erlöser oder drohender Richter? Wer beim Vortrag der Theologieprofessorin Magdalene L. Frettlöh über den großen Schweizer Theologen Karl Barth am Donnerstagabend in Deuz klare Antworten auf Entweder-oder-Fragen suchte, wurde enttäuscht. Denn bei Barth gehören Gegensätze zusammen, bedingen sich sogar gegenseitig, wie die Professorin für systematische Theologie der Universität Bern erklärte. Aber gerade das macht für sie seinen Reiz aus: „Barth ist ein Gegengift für Fundamentalismus.“ Während Fundamentalisten ein Schwarz-Weiß-Denken pflegten, das der Komplexität des Lebens oft nicht gerecht werde, versuche Barth, Gegensätze zusammenzudenken, sagte Frettlöh: „Das macht widerstandsfähig gegen Fundamentalismus.“
Der Vortrag in der Evangelischen Kirche in Deuz trug den Titel: „Wenn Gottes Gnade uns in die Krise stürzt. Oder: Warum die Rede vom nur lieben Gott uns nicht hilft.“ Mehr als 100 Interessierte kamen – das übertraf weit die Erwartung der Organisatoren, zu denen neben der Erwachsenenbildung im Evangelischen Kirchenkreis Siegen unter Leitung von Heike Dreisbach unter anderem die Superintendenten der Kirchenkreise Siegen und Wittgenstein, Peter-Thomas Stuberg und Stefan Berk, sowie die gemeinsame Schulreferentin Silke van Doorn gehörten. Frettlöh, die aus Bad Berleburg-Beddelhausen stammt, hatte anspruchsvolle Kost mitgebracht. Ihren Vortrag bezeichnete sie als „theologischen Brühwürfel, den man eigentlich lange begießen müsste, damit er genießbar wird“. In groben Zügen und mit vielen Originalzitaten umriss sie Schwerpunkte von Barths Theologie.
Bild: Vorbereitungskreis: Pfarrer Dr. Michael Klein, Pfarrerin Silke van Doorn, Heike Dreisbach, Erwachsenenbildung, Superintendent Peter-Thomas Stuberg, Magdalene L. Frettlöh, Pfarrer Dieter Kuhli, Pfarrer Armin Pulfrich.
Gegensätze, die nicht aufgelöst werden, sondern stehenbleiben, bildeten dabei den Grundton. So habe Barth unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs zunächst von Gott nur als von dem ganz Anderen, Fremden, gesprochen, sagte Frettlöh. Später habe er dann die Menschlichkeit Gottes und sein unbedingtes Ja zu den Menschen starkgemacht. Dieser Gegensatz falle für Barth in Jesus Christus zusammen. „Er ist der Dialog, in dem Mensch und Gott zusammentreffen“, sagte die Theologin. Überhaupt sei Barths Theologie „geradezu penetrant auf Christus bezogen“. Nur durch Jesus werde bei Barth das unerschütterliche Ja Gottes zu allen Menschen möglich. Denn neben dem Ja stehe bei Barth immer auch das Nein: das Nein der Menschen zu Gott, das Nein Gottes zur Sünde. Dieses Nein aber habe Jesus im Kreuz allein auf sich genommen. Die sogenannte Erwählungslehre oder Gnadenwahl Gottes, der sich freiwillig an die Menschen bindet, sei für Barth die Summe des Evangeliums, sagte Frettlöh. „Er entfernt sich hier radikal von der reformierten Tradition.“ Denn beim Reformator Calvin bedeute Erwählung die Trennung der Menschheit in Erwählte und Verworfene. Bei Barth jedoch gelte das Ja allen Menschen. „Das gehört für mich zu dem Tröstlichsten und Trotzigsten, was evangelische Theologie zu bieten hat“, sagte die Referentin.
Also doch ein „nur lieber Gott“? Nein, betonte Frettlöh. Gott bleibe für Barth immer unverfügbar und durchkreuze sämtliche Bilder der Menschen. Barth habe keinen plumpen Trost für die Menschen liefern wollen, die unter den Folgen des Krieges litten. Die Rede vom göttlichen Gericht gegen menschliches Unrecht gehöre immer dazu: „Es geht aber nicht um Verurteilung, sondern um Rechtsprechung“, betonte Frettlöh: „Gott, der uns in die Krise stürzt, damit wir im Leid nach dem Ersten Weltkrieg wieder zurechtgerückt werden.“ Das Gericht stehe nicht gegen die Gnade, sondern sei selbst Gnade und die Gnade äußere sich im Gericht. Für den Theologen ergab sich daraus auch die Pflicht zum eigenen Handeln – etwa im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Barth gilt als Hauptautor der Barmer Theologischen Erklärung, in der sich evangelische Christen 1934 von der NS-Ideologie abgrenzten.
Bild: Über Barths Theologie tauschten sich Teilnehmer im Anschluss in Arbeitsgruppen aus.
Gelegenheit, den „theologischen Brühwürfel“ der Referentin noch etwas ziehen zu lassen, boten Arbeitsgruppen im Anschluss an den Vortrag, in denen sich die Teilnehmer mit Texten von Barth auseinandersetzten. Freude über die Betonung des Ja Gottes zu den Menschen wurde dabei ebenso deutlich wie offene Fragen: etwa ob Barth die Sünde verharmlose und was er Menschen zu sagen habe, die leiden. „In Barths Theologie hat die Klage keinen Platz“, räumte Frettlöh in einem anschließenden Austausch ein. Damit habe sie selbst Mühe. Mühe bereitete derweil allen Arbeitsgruppen Barths komplexe Sprache mit ihren langen Schachtelsätzen. Wie man sich Barths Texte erschließen könne, fragte eine Gruppe Frettlöh. Ihre nüchterne Antwort: „Durch miteinander Lesen und immer wieder neu Lesen.“
Bild oben: Theologieprofessorin Magdalene L. Frettlöh im Gespräch mit Superintendent Peter-Thomas Stuberg
Fotos: Jens Gesper
Text: Jasmin Maxwell-Klein