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Das biblische Familienbild gibt es nicht
Familien heute Auftaktveranstaltung einer Diskussionsrunde
13.3.2013
Es ist gut, genau hinzuschauen. Und es kann passieren, dass Auffassungen ins Wanken geraten. So an der einen oder anderen Stelle des Vortrags von Prof. Dr. Jürgen Ebach in der Arche des Evangelischen Gymnasiums Weidenau am vergangenen Mittwoch (27.2.2013). Der theologische Ausschuss des Ev. Kirchenkreises Siegen hatte zu der Auftaktveranstaltung einer Beratungsreihe zu der Hauptvorlage der Evangelischen Kirche von Westfalen mit dem Titel Familien heute eingeladen.
Der Kirchenkreis Siegen und seine Einrichtungen haben mit der Thematik täglich zu tun. Superintendent Peter-Thomas Stuberg benennt die 52 Kindertageseinrichtungen in Trägerschaft der Evangelischen Kirche, die Ehe-, Familien- und Lebensberatung, die dann aufgesucht wird, wenn in Familien das Zusammenleben nicht gelingt oder auch die Telefonseelsorge, die rund um die Uhr erreichbar ist. Schulleiterin Beate Brinkmann berichtete von Diskussionen in Elternversammlungen zum Familienbild, als es um die Frage ging, ob das Gymnasium einen Ganztagsbetrieb einrichten solle.
Dann hatte Prof. Dr. Jürgen Ebach das Wort und führte in seinen biblischen Befund des familiären Zusammenlebens ein. Weder im Alten noch im Neuen Testament gibt es ein normativ verbindliches Bild von Ehe und Familie, zitiert er die Familienpolitische Leitlinien der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen. Die Bibel begründet zudem Ehe und Familie nicht als eine auf Liebe gegründete Gemeinschaft, sie propagiert keine aus Vater, Mutter und ihrer beiden Kinder bestehende Kleinfamilie und auch nicht jene Rollenverteilung in der er draußen für den Erwerb sorgt und sie den Haushalt führt und die Kinder versorgt. Die Liebesheirat, so Ebach, sei erst seit der Romantik entstanden.
In seinem fast einstündigen Vortrag ging der Theologe sachkundig auf Familiensituationen des Alten Testamentes ein. Dabei kamen auch grundlegende Verständnisfragen zur Sprache. Wann eigentlich nimmt wer die Bibel als Begründung einer Norm oder einer Institution in Anspruch und wann nicht? Es kann durchaus erhellend sein, die Brille, durch die die Bibel traditionell gelesen wird, zu wechseln und sich auf ungeläufige Sichtweisen einzulassen. Ganz anders kommen so biblische Zeugnisse in den Blick, wenn wir sie nicht auf das Ideal der bürgerlichen Ehe und Familie beziehen, sondern auf einen erweiterten und offenen Familienbegriff, wie ihn Präses Alfred Buß 2010 vor der Westfälischen Synode formulierte: Familie ist da, wo Menschen dauerhaft und generationenübergreifend persönlich füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen. Und auch den Hinweis von Präses Annette Kurschus hält Ebach für wichtig: Der Satz, Familie sei da, wo Kinder sind, führt solange er alleine steht, in die Irre. Er rückt nur die Nachkommen in den Blick. Er macht damit die familienlos, die keine Nachkommen haben.
Seine Eingangsbehauptung, es gebe kein normatives biblisches Familienbild, gründete Ebach auf vielfältige und unterschiedliche Formen familiären Zusammenlebens, die in der Bibel erzählt werden. Da kommen Großfamilien vor, Patchwork-Familien in denen Kinder mehr als eine Mutter und mehr als einen Vater haben, nämlich leibliche und soziale Väter und Mütter. Kinder werden durch Leihmütter ausgetragen und auch solche, die durch Samenspende entstehen. Das Singleleben beispielsweise wird von Paulus favorisiert. Und die Liebe? Die kommt auf den ersten Blättern der Bibel nicht vor. Erst als Abraham seinen Sohn Isaak opfern soll, den er liebt, kommt der Begriff in den Blick. Ebach: Bestürzend realistisch spricht die Bibel in der engsten Familie von geliebten und nichtgeliebten Menschen.
Dass Männer Frauen lieben, kommt in der Bibel oft vor, ebenso, dass Männer Männer lieben, dass Menschen Gott lieben und Gott Menschen liebt. Aber die hebräische Bibel erzählt nur von einer einzigen Frau, dass sie einen Mann liebt. Es ist die Saultochter Michal (1Sam 18,20). Sie liebt David und der hat es ihr schlecht vergolten.
Auf den ersten Blättern der Bibel wird beschrieben, wie Gott aus der Seite des Menschen die Frau bildete. Ebach: Dass er sie aus einer Rippe bildet, steht nicht im Text. Von einer Rippe spreche erst die lateinische Bibel. Es macht für Ebach allemal einen Unterschied, ob die Frau als die eine Seite des Menschen erschaffen ist oder aus einem überzähligen Knochen des Mannes. An weiteren Beispielen macht der Theologieprofessor deutlich, wie wichtig es ist, auf die genauen Formulierungen und Begriffe des Urtextes zu achten. So auch die Formulierung Vater und Mutter verlassen und einer Frau anhangen. Dieselbe Formulierung werde gebraucht bei dem Verhältnis von Ruth zu ihrer Schwiegermutter Noomi. Von Ehe sei dort nicht die Rede.
Die Erzväter seien oft schwache Väter, schweigende Väter, abwesende Väter. Vom Scheitern wird berichtet und auch aus der daraus erwachsenden Kraft.
Und auch im Neuen Testament werden die gescheiterten und schwierigen Familienverhältnisse nicht ausgeblendet. Sie sind Bestandteil des Stammbaumes Jesu. Und Jesu wahre Familie sind die Frauen und Männer, die ihm nachfolgen.
Ebach warf die Frage auf, ob man einen Normenverstoß und ein manifestiertes Unrecht in Ansehung des aus ihm hervorgegangenen Lebens als gerechtfertigt ansehen dürfe. So weiß ich nichts Besseres, als der Schrift zu folgen, welche die Normen des von Menschen zu Tuenden und zu Unterlassenden eindeutig benennt und deshalb immer wieder erzählt, dass sich das wirkliche Leben diesen Normen nicht fügt. Ob die Normen oder ob gerade die Verstöße gegen die Normen lebensförderlich(er) sind, lässt sich nicht flächendeckend entscheiden.
Deutlich wird jedoch in der Bibel, dass die Menschen der Solidarität bedürfen, die nicht im Netz der Kernfamilien geschützt und versorgt sind. Dazu gehören die Witwen und Waisen, die alten Eltern und auch die Fremden in einer Gesellschaft.
Das Fazit des umfänglichen Vortrags: Familien in all ihren alten und neuen Formen kennen die Erfahrung vom Gelingen der Beziehungen und vom Scheitern. Und wie meist im Leben gibt es vieles dazwischen in unserem Leben und in der Bibel.
Schülerinnen und Schüler des Evangelischen Gymnasiums hatten sich mit dem Papier kritisch auseinander gesetzt und der emeritierte Theologieprofessor gab pointiert und sachkundig Antwort auch auf Fragen aus dem Publikum. Da ging es um Bibelverständnis, um die Bedeutung des Alten Testamentes, um Homosexualität, um die Notwendigkeit der Diskussion und nicht zuletzt auch darum, wie unterschiedlich biblische Texte gelesen und betont werden können.
Das Schlusswort hatte Superintendent Peter-Thomas Stuberg, der aus seinen eigenen Erfahrungen als Ehemann, Vater dreier Kinder und seit kurzem Opa, von der Familie als einem Ort der Liebe berichtete, die wunderbarer Weise geschenkt werde und in der Gottes Wirken spürbar sei.
Das Impulsreferat von Prof. Dr. Jürgen Ebach ist in leicht gekürzter Fassung im Internet veröffentlicht unter der Rubrik Download unter www.Familien-heute.de. Hier ist auch die Hauptvorlage in digitaler Form zu finden.
kp
Text zum Bild: Foto Karlfried Petri
Reichhaltigen Diskussionsstoff bot der Vortrag von Prof. Dr. Jürgen Ebach zum biblischen Befund des Themas Familie mit all ihren vielfältigen Facetten.
Der Kirchenkreis Siegen und seine Einrichtungen haben mit der Thematik täglich zu tun. Superintendent Peter-Thomas Stuberg benennt die 52 Kindertageseinrichtungen in Trägerschaft der Evangelischen Kirche, die Ehe-, Familien- und Lebensberatung, die dann aufgesucht wird, wenn in Familien das Zusammenleben nicht gelingt oder auch die Telefonseelsorge, die rund um die Uhr erreichbar ist. Schulleiterin Beate Brinkmann berichtete von Diskussionen in Elternversammlungen zum Familienbild, als es um die Frage ging, ob das Gymnasium einen Ganztagsbetrieb einrichten solle.
Dann hatte Prof. Dr. Jürgen Ebach das Wort und führte in seinen biblischen Befund des familiären Zusammenlebens ein. Weder im Alten noch im Neuen Testament gibt es ein normativ verbindliches Bild von Ehe und Familie, zitiert er die Familienpolitische Leitlinien der Evangelischen Aktionsgemeinschaft für Familienfragen. Die Bibel begründet zudem Ehe und Familie nicht als eine auf Liebe gegründete Gemeinschaft, sie propagiert keine aus Vater, Mutter und ihrer beiden Kinder bestehende Kleinfamilie und auch nicht jene Rollenverteilung in der er draußen für den Erwerb sorgt und sie den Haushalt führt und die Kinder versorgt. Die Liebesheirat, so Ebach, sei erst seit der Romantik entstanden.
In seinem fast einstündigen Vortrag ging der Theologe sachkundig auf Familiensituationen des Alten Testamentes ein. Dabei kamen auch grundlegende Verständnisfragen zur Sprache. Wann eigentlich nimmt wer die Bibel als Begründung einer Norm oder einer Institution in Anspruch und wann nicht? Es kann durchaus erhellend sein, die Brille, durch die die Bibel traditionell gelesen wird, zu wechseln und sich auf ungeläufige Sichtweisen einzulassen. Ganz anders kommen so biblische Zeugnisse in den Blick, wenn wir sie nicht auf das Ideal der bürgerlichen Ehe und Familie beziehen, sondern auf einen erweiterten und offenen Familienbegriff, wie ihn Präses Alfred Buß 2010 vor der Westfälischen Synode formulierte: Familie ist da, wo Menschen dauerhaft und generationenübergreifend persönlich füreinander einstehen und Verantwortung übernehmen. Und auch den Hinweis von Präses Annette Kurschus hält Ebach für wichtig: Der Satz, Familie sei da, wo Kinder sind, führt solange er alleine steht, in die Irre. Er rückt nur die Nachkommen in den Blick. Er macht damit die familienlos, die keine Nachkommen haben.
Seine Eingangsbehauptung, es gebe kein normatives biblisches Familienbild, gründete Ebach auf vielfältige und unterschiedliche Formen familiären Zusammenlebens, die in der Bibel erzählt werden. Da kommen Großfamilien vor, Patchwork-Familien in denen Kinder mehr als eine Mutter und mehr als einen Vater haben, nämlich leibliche und soziale Väter und Mütter. Kinder werden durch Leihmütter ausgetragen und auch solche, die durch Samenspende entstehen. Das Singleleben beispielsweise wird von Paulus favorisiert. Und die Liebe? Die kommt auf den ersten Blättern der Bibel nicht vor. Erst als Abraham seinen Sohn Isaak opfern soll, den er liebt, kommt der Begriff in den Blick. Ebach: Bestürzend realistisch spricht die Bibel in der engsten Familie von geliebten und nichtgeliebten Menschen.
Dass Männer Frauen lieben, kommt in der Bibel oft vor, ebenso, dass Männer Männer lieben, dass Menschen Gott lieben und Gott Menschen liebt. Aber die hebräische Bibel erzählt nur von einer einzigen Frau, dass sie einen Mann liebt. Es ist die Saultochter Michal (1Sam 18,20). Sie liebt David und der hat es ihr schlecht vergolten.
Auf den ersten Blättern der Bibel wird beschrieben, wie Gott aus der Seite des Menschen die Frau bildete. Ebach: Dass er sie aus einer Rippe bildet, steht nicht im Text. Von einer Rippe spreche erst die lateinische Bibel. Es macht für Ebach allemal einen Unterschied, ob die Frau als die eine Seite des Menschen erschaffen ist oder aus einem überzähligen Knochen des Mannes. An weiteren Beispielen macht der Theologieprofessor deutlich, wie wichtig es ist, auf die genauen Formulierungen und Begriffe des Urtextes zu achten. So auch die Formulierung Vater und Mutter verlassen und einer Frau anhangen. Dieselbe Formulierung werde gebraucht bei dem Verhältnis von Ruth zu ihrer Schwiegermutter Noomi. Von Ehe sei dort nicht die Rede.
Die Erzväter seien oft schwache Väter, schweigende Väter, abwesende Väter. Vom Scheitern wird berichtet und auch aus der daraus erwachsenden Kraft.
Und auch im Neuen Testament werden die gescheiterten und schwierigen Familienverhältnisse nicht ausgeblendet. Sie sind Bestandteil des Stammbaumes Jesu. Und Jesu wahre Familie sind die Frauen und Männer, die ihm nachfolgen.
Ebach warf die Frage auf, ob man einen Normenverstoß und ein manifestiertes Unrecht in Ansehung des aus ihm hervorgegangenen Lebens als gerechtfertigt ansehen dürfe. So weiß ich nichts Besseres, als der Schrift zu folgen, welche die Normen des von Menschen zu Tuenden und zu Unterlassenden eindeutig benennt und deshalb immer wieder erzählt, dass sich das wirkliche Leben diesen Normen nicht fügt. Ob die Normen oder ob gerade die Verstöße gegen die Normen lebensförderlich(er) sind, lässt sich nicht flächendeckend entscheiden.
Deutlich wird jedoch in der Bibel, dass die Menschen der Solidarität bedürfen, die nicht im Netz der Kernfamilien geschützt und versorgt sind. Dazu gehören die Witwen und Waisen, die alten Eltern und auch die Fremden in einer Gesellschaft.
Das Fazit des umfänglichen Vortrags: Familien in all ihren alten und neuen Formen kennen die Erfahrung vom Gelingen der Beziehungen und vom Scheitern. Und wie meist im Leben gibt es vieles dazwischen in unserem Leben und in der Bibel.
Schülerinnen und Schüler des Evangelischen Gymnasiums hatten sich mit dem Papier kritisch auseinander gesetzt und der emeritierte Theologieprofessor gab pointiert und sachkundig Antwort auch auf Fragen aus dem Publikum. Da ging es um Bibelverständnis, um die Bedeutung des Alten Testamentes, um Homosexualität, um die Notwendigkeit der Diskussion und nicht zuletzt auch darum, wie unterschiedlich biblische Texte gelesen und betont werden können.
Das Schlusswort hatte Superintendent Peter-Thomas Stuberg, der aus seinen eigenen Erfahrungen als Ehemann, Vater dreier Kinder und seit kurzem Opa, von der Familie als einem Ort der Liebe berichtete, die wunderbarer Weise geschenkt werde und in der Gottes Wirken spürbar sei.
Das Impulsreferat von Prof. Dr. Jürgen Ebach ist in leicht gekürzter Fassung im Internet veröffentlicht unter der Rubrik Download unter www.Familien-heute.de. Hier ist auch die Hauptvorlage in digitaler Form zu finden.
kp
Text zum Bild: Foto Karlfried Petri
Reichhaltigen Diskussionsstoff bot der Vortrag von Prof. Dr. Jürgen Ebach zum biblischen Befund des Themas Familie mit all ihren vielfältigen Facetten.