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Familie heute
Gottes vergessene Kinder
Gemeinde und Homosexualität

2.5.2014

Wie sollte Gemeinde Jesu mit homosexuellen Menschen umgehen? Viele Menschen tun sich schon mit der Fragestellung schwer. In vielen christlichen Gemeinden ist es ein Tabu-Thema, über das nicht geredet wird. Homosexuelle werden in manchen Gemeinden gemieden. In der Evangelischen Landeskirche von Westfalen (EKvW) und auch im Evangelischen Kirchenkreis Siegen kam über dieses Thema eine Debatte auf, ausgelöst durch die Hauptvorlage des EKvW mit dem Titel „Familien heute – Impulse zu Fragen der Familie“. Der Kirchenkreis nahm dies zum Anlass, verschiedene Vorträge mit Gesprächsmöglichkeit anzubieten zu den Themen Homosexualität, Bibelverständnis und Ehe.

Rund 150 Gemeindeglieder aus dem gesamten Kirchenkreis konnte Superintendent Peter-Thomas Stuberg am Donnerstag, 30. April, im evangelischen Gemeindezentrum auf dem Rödgen zu dem Thema „Gottes vergessene Kinder – Gemeinde und Homosexualität“ begrüßen. Stuberg: „Wir wollen zunächst gründlich hören, versuchen zu verstehen und erst dann zu einem Urteil kommen.“

Am Eingang zum Gemeindezentrum bekamen die Besucher einen Klebepunkt an die Hand, um die eigene Position zum Thema innerhalb von sechs Thesen zu dokumentieren. Diese umfassten das breite Spektrum von grundsätzlicher Ablehnung bis hin zu aktiver Unterstützung als Gebot der Nächstenliebe. Ein Stimmungsbild zeichnete sich ab, bei dem die unterschiedlichen Einstellungen im Raum zum Ausdruck kamen.

Als Referent hatte der Kirchenkreis Pfarrer Dr. Klaus Douglass, Frankfurt, eingeladen. Dem Theologen, der in Begleitung seiner Ehefrau anreiste, begegnet das Thema Homosexualität seit vielen Jahren im privaten und dienstlichen Umfeld sowie in der Seelsorge. Er hat darüber publiziert und, wie er bemerkte, seine Einstellung im Laufe der Jahre gründlich revidieren müssen. Das Thema habe er sich nicht ausgesucht, es sei ihm zugewachsen. Er sei seit seiner Jugend pietistisch geprägt und sei mit der Auffassung groß geworden, dass Homosexualität Sünde und von der Bibel her abzulehnen sei. Im Lauf der Zeit seien aber Irritationen aufgetreten. Zum einen, weil das Thema in der Bibel eine relativ geringe Rolle spiele und ihm immer unklarer wurde, warum fromme Kreise gerade dieses Thema so stark traktieren. Zum andern waren es seelsorgerliche Erfahrungen, die ihn erst ins Nach- und dann zum Umdenken führten. Er habe im Lauf der Jahre viele homosexuelle Christinnen und Christen kennen gelernt, die aufrichtig an Jesus glaubten und die schwer darunter zu leiden hätten, dass sie in der christlichen Gemeinde oft als Menschen angesehen würden, mit denen etwas nicht stimme. Viele homosexuelle Christen könnten sich nicht outen, teilweise auch aus Angst, ihren Job in christlichen Werken zu verlieren. Manche gingen sogar Scheinehen ein mit Deckung ihrer Ehepartner, die über die Situation informiert seien. Douglass: „Dabei lieben diese Menschen Jesus und Jesus liebt sie.“ Die Ablehnung, die sie in frommen Kreisen erführen, hänge nicht mit Homophobie zusammen, sondern damit, dass diese Kreise dem Wort Gottes gehorsam sein wollten. Und doch bereiteten sie ihren homosexuellen Mitchristen oft ein Leben in großer Seelennot und Bedrängnis. Douglass: „Ob Homosexualität Sünde ist, darüber kann man diskutieren. Dieser Umgang mit Homosexualität aber ist definitiv Sünde.“

Der Pfarrer ging dann auf Fragen ein, die ihm zu dem Thema immer wieder gestellt werden. Die Wissenschaft sei sich heute zu über 95 Prozent einig, dass Homosexualität in den meisten Fällen angeboren sei. Er könne nach seinem heutigen Verständnis Homosexualität nicht mehr als Sünde ansehen. Nicht die sexuelle Ausprägung eines Menschen sei Sünde, auch nicht die Ausübung seiner Sexualität, sondern Lieblosigkeit. Die Frage, ob Homosexualität veränderbar sei, beantwortete Douglass wie folgt: „Angeborene Homosexualität ist nicht veränderbar – und warum sollte ein Mensch auch etwas an seiner sexuellen Ausrichtung ändern wollen? Ich würde das für mich nicht wollen und das sollte ich darum auch jedem anderen zugestehen.“

Am Ende seines Vortrages gab der Referent, der sich in dieser Frage als Brückenbauer versteht, den Zuhörenden zehn Empfehlungen mit zum Umgang mit Homosexualität in der Gemeinde. Dazu gehörte die Empfehlung, sich des Zentrums bewusst zu bleiben. Klaus Douglass betonte: „Christsein entscheidet sich nicht an einem Verhalten, sondern an einem Verhältnis“, nämlich dem zu Jesus Christus. Er legte den Zuhörenden ans Herz, die Debatte zu versachlichen und sich daran zu orientieren, wie Jesus mit Menschen umgegangen sei. Einander den Glauben zu glauben bzw. zuzugestehen halte er für wichtig. Das Wesen christlicher Gemeinschaft sei nicht, dasselbe zu glauben, zu leben oder denselben Standpunkt zu haben, sondern dazu gehöre, sich der gemeinsamen Irrtumsfähigkeit und des gemeinsamen Zentrums in Jesus Christus sowie des gemeinsamen Zieles bewusst zu sein.

Es gehe in der christlichen Gemeinde nicht an, andere zu diskriminieren: „Homosexuelle sollten in der Gemeinde nicht nur geduldet, sondern ganz normal willkommen geheißen werden.“ Er empfahl den Kontakt und das Gespräch mit anderer sexueller Ausprägung zu suchen, um kennenzulernen, hinzuhören und zu verstehen. Ganz allgemein hielt er es für angebracht, wenn es um Sünde gehe, zu 95% über sich selbst zu reden und nicht über andere. Wo immer echte Liebe im Spiel sei, solle man ein höchstmögliches Maß an Ehrfurcht und Respekt walten lassen. Und letztendlich empfahl er, demokratische Beschlüsse in Gemeinde und Kirche zu akzeptieren. Dabei zitierte er seinen Kirchenpräsidenten Volker Jung von der EKHN: „In der evangelischen Kirche herrschen nicht Dekrete, sondern Diskurse.“

Nach dem einstündigen Vortrag bestand Raum für Gespräche in Kleingruppen. Hier kamen unterschiedliche Fragen auf, beispielsweise welche Rolle der Segen spiele. Klaus Douglass erhielt Gelegenheit, auf die Fragen einzugehen. Unter Segen verstehe er die Förderung des Lebens durch Gott. „Gott sagt, ich finde dich gut, ich gehe mit dir und ich fördere es.“ Segen Gottes habe er selbst auch in schuldhaften Krisen erleben können. Auf die Frage nach dem Maßstab des Verhaltens antwortete Douglass: „Der Maßstab für das Verhalten ist das Wort Gottes. Das Wort Gottes ist Jesus Christus. Die Bibel zeugt von diesem Wort.“ Daher sage Luther, dass die Schrift von Christus her auszulegen sei. Der Pfarrer hält es für erforderlich, dass die Gemeinde Jesu eine Kultur des Umgangs pflege, die sich an Jesus Christus orientiere. Es müssten in der Gemeinde kulturelle Formen entwickelt werden, die Menschen in ihrer Verschiedenheit Heimat finden ließen.

 

Veranstaltungshinweise:

Zwei weitere Vortragsveranstaltung des Ev. Kirchenkreises Siegen finden im Gemeindezentrum Kaan-Marienborn, Augärtenstraße 4, 57074 Siegen, statt:

Am Dienstag, 27. Mai, 19 Uhr, spricht Prof. Dr. Georg Plasger, Universität Siegen,  zu dem Thema: Menschenwort oder Gotteswort – Zugänge zur Bibel.

Am Dienstag, 17. Juni, 19 Uhr, spricht Dr. Jochen Denker, Wuppertal, zum Thema: Erdet die Ehe – Zwischen Sakrament und Lebensabschnittsbeziehung. Auf der Suche nach gemeinschaftsgerechten Lebensformen.

kp

 

Text zum Bild: (Foto Karlfried Petri)

Bild oben:
Dr. Klaus Douglass griff ein Tabu-Thema auf und gab einen Gesprächston vor, der es ermöglichte, unterschiedliche Positionen zu Wort kommen zu lassen.

 

Superintendent Peter-Thomas Stuberg und Referent Klaus Douglass (v.li.) freuten sich über die große Resonanz und die Diskussionen auf Augenhöhe.

Sechs Thesen forderten zu Beginn die Besucher heraus, die eigene Position zu erkunden.

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