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Wie christliche Gemeinden Asylbewerber willkommen heißen können
Niemand kann sich gegen erste Eindrücke wehren
6.2.2015
Das Thema Flüchtlinge und Asylbewerber interessiert die christlichen Gemeinden im Siegerland. Etwa 100 Gemeindeglieder kamen am Montagabend (2. Februar 2015) aus Kirchengemeinden und Freikirchen im Siegerland und angrenzenden Ortschaften in das Gemeindehaus Altstadt der Nikolaikirchengemeinde in Siegen. Dahin musste die Veranstaltung verlegt werden, da der ursprüngliche vorgesehene Raum im Haus der Kirche sich als zu klein erwies.
„Wie können christliche Gemeinden Asylbewerber willkommen heißen?“, lautete das Thema, zu dem der Synodale Ausschuss für Gemeindeentwicklung „Gemeinsam unterwegs“ eingeladen hatte. Es sollte ein Abend werden mit vielen Tipps und Erfahrungen aus der Praxis für die Praxis.
„Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen“, zitierte die Referentin für Erwachsenenbildung des Ev. Kirchenkreises Siegen Heike Dreisbach das Jesuswort aus Matthäus 25, 35 und begrüßte die vielen Interessierten herzlich: „Wir wollen Antworten der christlichen Gemeinde finden auf die Herausforderung der vielen Menschen, die bei uns Zuflucht suchen. Wir wollen andere Antworten geben als: Das christliche Abendland ist bedroht.“
Pfarrer Ulrich Schlappa aus Freudenberg-Büschergrund stellte Hans-Peter Ginsberg aus Wahlbach vor, der sich seit eineinhalb Jahren in Burbach um Flüchtlinge kümmert. Seit einiger Zeit ist der Flüchtlingsbeauftragte der ev. Kirchengemeinde Burbach. Ginsberg erzählte, wie sie in der Kirchengemeinde die Flüchtlingsarbeit begonnen haben. Teddybären wurden für die Kinder gekauft und verteilt, Schuhe und Kleidung und Bibeln kamen hinzu. Er berichtete auch von den Problemen, die entstanden, weil zu viele Menschen in den Unterkünften untergebracht worden seien. Aktuell lebten etwa 400 Flüchtlinge in den Heimen, in Spitzenzeiten seien es bis zu 800 gewesen. Ab Mai dieses Jahres werde sich die Situation erneut ändern. Dann werde in Burbach ein Erstaufnahmelager eingerichtet mit den entsprechenden Behördeneinrichtungen.
Die Menschen in Burbach kämen beispielsweise aus dem Balkan, Nigeria, Eritrea, Irak, Iran, China, Afghanistan, dem Tibet, Georgien, Marokko, Algerien oder Ägypten. Er habe Familien aus dem Balkan kennen gelernt, die mit dem Bus und zu Fuß geflüchtet seien. Ihre Kinder hätten sie hunderte von Kilometern getragen. Es sei kein Problem, mit den Menschen über Gott zu sprechen. Zur Allianzgebetswoche seien in diesem Jahr auch Muslime gekommen. Die Flüchtlinge hätten Menschen kennen gelernten, die für sie beteten. Während des Abendessens werde zu den Gottesdiensten und Andachten im Flüchtlingsheim oder in der ev. Kirche in Burbach eingeladen. Er erzählte bewegend und überzeugend von den Weihnachtsfeiern mit Christen und Muslimen. Es sei für ihn ein Erlebnis gewesen, eine Weihnachtsfeier mit sechshundert Flüchtlingen und Posaunenchor und vielen Übersetzern zu erleben. Frauen mit kleinen Kindern erführen in den Unterkünften erstmals das Gefühl der Sicherheit. Mütter könnten sich entspannen, wenn ihre Kinder betreut würden. Christen aus den Gottesdiensten und Andachten lernten sich kennen, gingen aufeinander zu und erlebten Gemeinschaft. Es wurde die Aktion „Jedem Christen eine Bibel“ ins Leben gerufen. Hunderte von Bibeln habe man verteilt.
Flüchtlingsbeauftragter Ginsberg sieht eine wichtige Aufgabe darin, die Menschen aufzufangen, die nun im weiteren Asylverfahren in den Ortschaften des Siegerlandes wohnen: „Niemand kann sich gegen Ersteindrücke wehren. Jedes freundliche Lächeln, jeder Gruß wird registriert. Niemand wehrt sich gegen Freundlichkeit. Wir müssen Menschen anders aufnehmen, wie sie in Deutschland aufgenommen worden sind.“ Die Arbeit in Burbach mit den Flüchtlingen trage auch in der Bevölkerung Früchte. Die kritischen Töne seien leiser geworden.
Ortspfarrer Jochen Wahl berichtete über eine veränderte Gottesdienstkultur, die auch die evangelische Gemeinde in Burbach verändert hat. Zwischen 15 und 50 Flüchtlinge aus den Unterkünften nehmen an den Gottesdiensten teil, Christen wie Muslime. Es erfolgt eine Übersetzung ins Englische. Selbst ältere, eher reservierte Menschen laden Flüchtlinge zum Mittagessen ein. Es entstehen Begegnungen zwischen Einheimischen und Flüchtlingen.
André Schmidt verantwortet als Fachbereichsleiter der Stadt Siegen die Unterbringung von Flüchtlingen. Die Verteilung erfolgt in NRW nach einem Schlüssel auf alle Kommunen. In 2014 habe die Stadt Siegen 200 Flüchtlinge zugewiesen bekommen, in diesem Jahr seien es bereits 60 in einem Monat. Schmidt schildert die Situation: „Die Unterkünfte in Siegen sind schon lange voll. Eine 7–8-köpfige Familie wohnt in einem Zimmer. Räume für Andachten oder Sprachkurse haben wir keine. Da wohnen schon Menschen.“ Es würden nun Wohnungen auf dem freien Markt gesucht. Für alle Menschen, die jetzt kämen, müsse eine Unterbringung improvisiert werden.
In der Stadt Freudenberg hat sich das Netzwerk Flüchtlingshilfe organisiert. Christoph Reifenberger aus Büschergrund erzählte, wie das christlich motivierte Netzwerk entstanden ist und was es leistet. Die Möglichkeiten der Kommunen seien begrenzt. Daher sei man froh gewesen, als 50 Menschen ihre Hilfe zugesagt hätten. Ohne Sprache funktioniere das Leben nicht. Sechs pensionierte Lehrer hätten sich bereit erklärt, Sprachunterricht zu geben. Fünf Begrüßungsteams kümmern sich in den fünf Unterkünften um ankommende Flüchtlinge. Sie stellen die menschlichen Kontakte her und fragen, was benötig wird. In Freudenberg habe man für die 75 Flüchtlinge Fahrräder besorgt, mit denen die sie ihre Einkäufe erledigen könnten. Reifenberger: „Ziel des Netzwerkes ist es, den Flüchtlingen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Dabei sind persönliche Beziehungen wichtig. Nicht selten wird gefragt, warum die ehrenamtlichen Helfenden diese Arbeit leisten.“
Eine Willkommenskultur ist der Sozialarbeiterin Dorothee Kahm wichtig. Sie berät Flüchtlinge bei der Integrationsagentur der Diakonie in Südwestfalen. Sie plädiert für Räume der Begegnung, dafür, dass Menschen offen sind und freundlich aufeinander zugehen. Kahm: „Dazu muss man Interesse an Menschen haben und sich auf Menschen einlassen. Wenn man allen Befürchtungen und Ängsten nachgibt, dann passiert nichts.“ Hilfreich sei es, unterschiedliche kulturelle Gebräuche und Sitten zu kennen. Der interkulturelle Kalender biete sich als ein hilfreiches Instrument an. Kahm: „Damit man beispielsweise eine muslimische Familie nicht während des Ramadan zu einem guten Essen einlädt.“
In vier Arbeitsgruppen wurde vertieft, wie Gemeinden sich engagieren können und wie man speziell christliche Flüchtlinge begleiten kann. Aber auch das Asylrecht und das Organisieren von Sprachkursen wurden angesprochen. Christoph Reifenberger in einer der Arbeitsgruppen: „Man kann nur etwas falsch machen, wenn man nichts macht.“
kp
Text zum Bild: (Foto Karlfried Petri)
Bild oben:
Christliche Gemeinden wollen Flüchtlinge willkommen heißen.
Flüchtlingsbeauftragter der Ev. Kirchengemeinde Burbach Hans-Peter Ginsberg (links) im Gespräch mit Ulrich Schlappa.
André Schmidt (im Bild rechts) schildert die Flüchtlingsunterbringung in der Stadt Siegen.
Dorothee Kahm (links) macht sich für eine offene Willkommenskultur stark.
Das Netzwerk Flüchtlingshilfe in Freudenberg setzt sich dafür ein, dass Flüchtlinge menschenwürdig leben können. Christoph Reifenberger (links) betont die Bedeutung von persönlichen Beziehungen. Rechts im Bild Heike Dreisbach.