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Geld regiert die Welt
Auf der Suche nach alternativen Lebensformen

19.2.2015

Die Ev. Martini-Kirchengemeinde Siegen hatte gemeinsam mit der Gustav-Heinemann-Friedensgesellschaft Siegen zu einem Vortrags- und Gesprächsabend eingeladen. Der provokante Titel: Geld regiert die Welt. Referent: Klaus Gräbener, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Siegen.

Ist Geld der Götze der modernen Zeit, fragte zu Beginn Moderatorin und Vorsitzende der Gustav-Heinemann Friedensgesellschaft Siegen Dr. Astrid Greve. Was muss wachsen und was nicht? Was ist gutes Leben?

Klaus Gräbener ließ die These, dass alle gesellschaftlichen Bereiche dem Diktat des Geldes unterlägen, stehen. Gräbener: „Ist es so, oder war es jemals anders?“ Parlamente regierten, die durch starke Interessengruppen beeinflusst würden. Daher müssten Werte, Orientierung und Bildung wachsen, wenn man verstehen und einordnen wolle.

Der IHK Hauptgeschäftsführer skizzierte einige Entwicklungen, die die  Gesellschaft der Gegenwart beeinflussen. Dazu gehört die Internationalisierung. Gräbener: „Von der Internationalisierung hat keine Volkswirtschaft mehr profitiert wie Deutschland.“ Die Informationstechnologe trage zur Internationalisierung bei. Heute befinde sich die ganze Welt in einem Smartphone, so Gräbener, mit alle den Chancen aber auch mit all den Risiken.

Auch die Transparenz ist ein Kennzeichen der Zeit. Was George Orwell 1948 in seinem Buch „1984“ geschrieben habe, sei in Kürze realistisch. Heute sei über Suchmaschinen alles Wissen verfügbar. Die Konsumenten bekämen eine umfassende Markttransparenz. Käufer wie Verkäufer nutzten die Mechanismen der Markttransparenz.

Der Hauptgeschäftsführer erinnerte daran, dass vor 130 Jahren noch ein Dreiklassenwahlrecht bestanden habe. Die Menschen hätten sich dafür eingesetzt, seien sogar dafür gestorben, um das Wahlrecht zu erlangen. Auch das Frauenwahlrecht. Die Industrialisierung und die Eisenbahn hätten Wohlstand gebracht. Auch eine stärkere gesellschaftliche Mitwirkung sei entstanden.

Gräbener kommt auf den Wohlstand zu sprechen. Als arm gelte, wer 60% des Durchschnitteinkommens habe. Eine relative Bezeichnung. Ein Problem sieht er darin, dass mit Armut eine geringere gesellschaftliche Teilhabe einhergehe. Als ungerecht empfindet er, dass man einen Unterschied mache zwischen den Einkommen derer, „die in Wirtschaft unterwegs sind und denen, die im Sport unterwegs sind“. Gräbener: „Die Spitzengehälter, die 250 mal höher als das Durchschnittseinkommen sind, verteidige ich nicht.“

Er plädierte dafür, dass Bildung wachsen müsse. Gräbener: „Die Bildung ist der Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe.“

Wie es darum bestellt ist macht beispielsweise deutlich, dass 9% der Bevölkerung keine Zeitung sinnentnehmend lesen kann. Diese Menschen seien nicht zur gesellschaftlichen Teilhabe in der Lage. Die Bildungsabschlüsse hätten an Wert verloren, die Grundrechenarten würden nicht mehr beherrscht. Eine zunehmende Akademisierung senke das Bildungsniveau und führe damit in die Irre.

Auf die Herausforderungen der Betriebe eingehend wies er darauf hin, dass der demografische Wandel dem Handwerk und der Industrie künftig zu schaffen mache. Ein Sechstel bis ein Siebtel der Arbeitsplätze bräche weg. Es fehlten 1.200 Schulabgänger, um die Arbeitsstellen zu besetzen. Gräbener: „Die Kinder, die nicht geboren worden sind, können keine Kinder haben.“ Es müsse ein erheblicher Rückbau organisiert werden.

 

Festzustellen sei, dass die Menschen eine Sehnsucht nach Orientierung hätten, so Gräbener. Das sittliche Bild stimme nicht mehr. Es fehlten Vorbilder in der Gesellschaft. Es gäbe nur noch wenige Persönlichkeiten eines Formates wie Richard von Weizsäcker oder Helmut Schmidt. Er sprach sich für eine Debatte über Werte wie Hilfsbereitschaft, Demut oder christliche Werte aus. Gräbener zum Schluss: „Geld bietet Sicherheit aber kein Glück.“

In einem Zwiegespräch zwischen Pfarrerin Ute Waffenschmidt-Leng und Klaus Gräbener kritisierte die Pfarrerin die Gewinnmaximierung in der Wirtschaft. Es gehe im Wesentlichen darum, Profit zu machen. Dem würden Werte und Menschen geopfert. Sie kritisierte die Verselbstständigung von Banken im neoliberalen System. Dies habe die Verselbstständigung von Geld zur Folge. Bänker hätten nur die Intention, Geld zu vermehren. Dies halte sie für eine extreme Form von Pervertierung. Vor allem müssten die weltweiten Geldflüsse reguliert werden.

Dem widersprach Gräbener. Bei einem Staatsanteil von 50% in der Bundesrepublik Deutschland könne nicht von einem neoliberalistischen System gesprochen werden. Bei einem solchen System wäre der Anteil des Staates am Wirtschaftsgeschehen geringer. Gräbener stimmte Waffenschmidt-Leng nach einer Forderung der Regulierung der Finanzmärkte zu. Dies müsse jedoch auf europäischer Ebene geschehen. Er benennt aber auch das zunehmende Problem, dass hiesige Verbraucher online bei Firmen kaufen, die in Deutschland keine Steuern zahlen.

Robert Menne und Bastian Stötzel, ehemals Schüler des Evangelischen Gymnasiums Weidenau, berichteten von ihren Eindrücken einer Indienreise von Ende Oktober bis Ende Dezember 2014. Die Wachstumsrate des Schwellenlandes Indien liege bei 4,7% und gehe mit einer grenzenlosen Ausbeutung der Natur einher. Die Luftverschmutzung sei in Delhi 20-mal höher als der deutsche Grenzwert. Und auch die Wasserverschmutzung sei enorm. Obwohl ein Wachstumsdenken in Indien traditionell fremd sei, seien viele Inder von dem Wirtschaftssystem begeistert. In den Schulbüchern werde das aufoktroyierte System unterstützt.

Menne und Stötzel zeigten alternative Überlegungen zum Wachstum auf und verwiesen auf Veröffentlichungen von Dr. Harald Welzer, Professor an der Universität Flensburg und Direktor der Stiftung Futur Zwei aus Berlin, einem Vertreter der Postwachstumsökonomie. Sie zitieren Prof. Dr. Niko Paech, Universität Paderborn, wonach souverän nicht der ist, der viel habe, sondern der wenig brauche. Die Steigerung des Wachstums gehe einher mit der Steigerung der Produktionseffizienz. Kleine Produktionsschritte hätten einen höheren Energieverbrauch zur Folge. Der CO²-Ausstoß sei zwar in Deutschland stagnierend, in den Schwellenländern explodiere er jedoch.

Sie verweisen auf die südenglische Stadt Totnes, wo Rob Hopkins eine Selbstversorgung mit einem lokalen Wirtschaftssystem aufgebaut habe.

Nach den Vorträgen und Statements entwickelte sich eine lebhafte Diskussion über das Wirtschaftssystem, das Konsumverhalten und funktionierende Alternativen.

kp

 

Text zum Bild: (Fotos Karlfried Petri)

 

Für Klaus Gräbener, Hauptgeschäftsführer der IHK Siegen ist Bildung ein Schlüssel zur gesellschaftlichen Teilhabe. Pfarrerin Ute Waffenschmidt-Leng kritisierte die Gewinnmaximierung der Wirtschaft.

im Bild v. li. Klaus Gräbener, Moderatorin Dr. Astrid Greve und Pfarrerin Ute Waffenschmidt-Leng.

 

Robert Menne und Bastian Stötzel (v. li.), ehemalige Schüler des Evangelischen Gymnasiums, schilderten die Eindrücke von ihrer zweimonatigen Indienreise und zeigten Alternativen zum Konsumverhalten auf.

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