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Jahresfest des Bezirksverbandes
der Siegerländer Frauenhilfen
Ich war fremd und du hast mich aufgenommen
8.6.2015
Den Umgang mit Flüchtlingen in den Siegerländer Ortschaften thematisierte der Bezirksverband der Siegerländer Frauenhilfen am vergangenen Mittwoch (3. Juni 2015) auf ihrem Jahresfest in der Ev. Kirche in Hilchenbach.
Erika Denker, Vorsitzende des Bezirksverbandes, begrüßte die zahlreich erschienen Frauen herzlich. Denker: „Als wir im Herbst letzten Jahres mit den Planungen begannen und das Thema auswählten stellten wir uns vor, dass bis zum Jahresfest in jedem Ort neue Menschen aus den Flüchtlingsgebieten angekommen sein würden. Werden die für uns Fremde unsere Dörfer, unsere Nachbarschaften und vielleicht auch unsere Gemeinden bereichern? Werden sie uns Angst machen oder Hilflosigkeit bewirken? Wo und wie wird unsere Hilfe gefragt sein?“
Diese Fragen griff der stellvertretende Superintendent Rolf Fersterra bei seinem Grußwort für den Ev. Kirchenkreis Siegen aus ganz anderer Sicht auf. Er hat in seinem Leben Annahme erfahren, als seine Eltern ihn adoptierten und er ein geliebtes Kind in einer Familie wurde. Fersterra: „Wenn Fremde aufgenommen werden, können Wunder geschehen und Wunden heilen.“
Zuvor begrüßte Ortspfarrer Rüdiger Schnurr die Frauen herzlich in Hilchenbach. Schnurr: „Wir haben große Probleme mit Flüchtlingen auf denen herumgetrampelt wird. Ich habe den Eindruck, ein Mensch ist man erst, wenn man einen deutschen Pass oder den Pass eines anderen europäischen Staates hat.“ Zu den Frauen gewandt sagte er: „Beugt euch herab zu diesen Menschen.“
In ihrer Festpredigt nutzte Pfarrerin Daniela Walter, Burbach, das Bild eines Tisches, um deutlich zu machen, wie das Annehmen von Fremden im Alltag gelingen kann. In Burbach finde der Frauenkreis am Tisch statt. Am Tisch werde gehört, gefeiert, Gottes Wort vernommen, Freud und Leid geteilt und erinnert. Walter: „Wer vom Tisch ausgeschlossen ist, ist auch aus der Gemeinschaft ausgeschlossen.“ Sie ruft dazu auf, zusammenzurücken und Platz zu machen an den Tischen in den Häusern, Vereinen und Kirchen. Walter: „Aus Menschen, die Tischgemeinschaft haben, können Weggefährten werden. Dann kann man auch Unterschiede aushalten.“ Die Pfarrerin machte deutlich, dass am Tisch Gottes Platz sei für alle Menschen; für die, die dazugehörten und auch für die, die noch nicht dazugehörten. Sie erinnerte daran, dass Jesus sogar mit einem Verleugner und einem Verräter am Tisch gesessen habe.
Im zweiten Teil gab Dorothee Kahm, Sozialarbeiterin bei der Integrationsagentur der Diakonie in Südwestfalen, einen Überblick über die Flüchtlingssituation und zeigte auf, wie in den Ortschaften geholfen werden könnte.
51,3 Mio. Menschen befänden sich derzeit weltweit auf der Flucht. Diese Menschen verließen nicht freiwillig ihr Zuhause. Sie flüchteten ins Unbekannte vor Krieg, Folter, Verfolgung, Todesstrafe, Diskriminierung oder vor der Bedrohung ihrer Existenzgrundlage. 80-85% der Flüchtlinge seinen nicht in der körperlichen Verfassung, weite Wege zurücklegen zu können, um nach Europa zu gelangen. In Deutschland seien im ersten Quartal dieses Jahres 114.125 Asylanträge gestellt worden. Sie erzählte von einer vielköpfigen Roma-Familie, die am Tag des Jahresfestes vormittags in ihrem Büro Hilfe ersucht habe. Von 1978 bis heute sei diese Familie auf der Flucht. 15 Stationen habe diese Flucht bislang erlebt. Die maximale Aufenthaltsdauer an einem Ort habe 5 Jahre betragen. Die Familie stamme aus dem Kosovo. Wenn sie dahin zurückkehre, drohe ihr Folter und Misshandlung. Die Familienangehörigen dürften nicht arbeiten, seien wohnungslos und hätten faktisch keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Die zweijährige Tochter habe einen Herzfehler, der nur hier behandelt werden könne. Die Familie habe zurzeit keine Chance, in Deutschland bleiben zu können. Kahm: „Haben wir das Recht, eine Flucht aus wirtschaftlicher Not geringer zu achten als eine Flucht aus einem Kriegsgebiet?“
In Siegen lebten Menschen aus 130 Nationalitäten. Es bestehe in den Kommunen eine massive Knappheit an Wohnraum, in denen Flüchtlinge untergebracht werden könnten. Viele Flüchtlinge lebten in Gemeinschaftsunterkünften mit Großschlafsälen ohne Privatsphäre. Kahm: „Wenn Sie privaten Wohnraum wie eine Einliegerwohnung zur Verfügung stellen können, wäre das eine große Hilfe. Solche Wohnungen werden gebraucht für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge wie Schwangere, Senioren oder Behinderte.“ Unterkünfte fernab in Industriegebieten schlössen die Flüchtlinge von den Tischen aus, so Kahm. Sie machte deutlich, wie wichtig es sei, in den Ortschaften Räume der Begegnungen zu schaffen. Es brauche etwas Mut, um auf die Fremden zuzugehen. Praktische Unterstützung sei gefragt. So sei es hilfreich, die Fremden willkommen zu heißen, mit ihnen den Ort zu erkunden und die hiesigen Gewohnheiten zu erklären sowie ihnen die deutsche Sprache beibringen. Gemeinsame Ausflüge, Erzählrunden, das miteinander Kochen oder Spielenachmittage könnten helfen, zueinander zu finden. Und sie ruft in Erinnerung, für diese Menschen zu beten.
Verabschiedet als Leiterin der Frauenhilfe Kredenbach wurde auf dem Jahresfest Eleonore Hübel. Renate Pruchnik wurde ins Team des Sozialen Dienstes Frauenhilfe aufgenommen.
Den musikalischen Rahmen der Festveranstaltung gestaltete Kreiskantor KMD Ulrich Stötzel an der Orgel und Hanna Dietermann, Annette und Mirjam Vanselow sowie Ute Zimmermann aus der Kirchengemeinde Rödgen-Wilnsdorf.
kp
Text zum Bild: (Foto Karlfried Petri)
In der Ev. Kirche Hilchenbach feierte der Bezirksverband der Siegerländer Frauenhilfen ihr Jahresfest.
Dorothee Kahm informierte über die Situation von Flüchtlingen in Deutschland und gab Anregungen für den Umgang mit Fremden in Gemeinden.
Pfrn. Daniela Walter:“ Aus Menschen, die Tischgemeinschaft haben, können Weggefährten werden.“