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Predigt zum Nachlesen
3.7.2017
Hier gibt es die Predigt zum Nachlesen, die Superintendent Peter-Thomas Stuberg beim Festgottesdienst zum Kreiskirchentag gehalten hat.
"Liebe Gemeinde,
unser Kirchenkreis feiert. WIR feiern. Mal einmal zusammen. Nächste Woche wieder jede Gemeinde für sich. Aber wir feiern nicht unsere Kirche. Wir feiern nicht einmal die Reformation.
Wohl aber feiern wir den Herrn der Kirche: Jesus Christus. So wars jedenfalls gemeint auf den Plakaten: „Kirche Erleben“. Und Zum Leben befreit! Er steht in der Mitte! Auch wenn unsere Aktionen in der Stadt mit ganz viel Phantasie und Liebe gestern unters Volk gebracht wurden. Wenn wir sie tapfer gegen alle Junievents in Stadt und Kreis platziert haben. Wenn wir anders aufgestellt sind als Stadtfest, Kreisfest, Kultur pur auf dem Giller… Nein. Unser Fest wurzelt in anderer Erde.
Auch wenn es sommerlich leicht anmutet, wenn es viel zu lachen gibt und ganz viel zum Freuen. Wenn wir tolle Begegnungen und Gespräche hatten. Grund für den Kreiskirchentag ist mehr als die vierte Woche in Folge nochmal Partystimmung. Es ist mehr! Es ist Freude und zwar österliche Freude! Die soll ein ganzes Christenleben halten, nicht nur eine Sommersaison.
Ein Psalm leiht uns für diese Freude seine Worte. Das haben wir auch nötig! Österliche Freude kommt nicht von allein aus unserem Herzen und unserer Seele. Menschenseelen bringen von sich aus anderes hervor: Ängstlichkeit, Bekümmernis, Sorgen.
Dieser Psalm führt uns behutsam, ehrlich und glaubhaft aus der Tiefe. Wohin? In Gottes Licht. Aus unseren Dunkelheiten. Wenn überhaupt, so könnten wir im Vergleich der Angebote damit punkten: mit den biblischen Worten, die wir uns ausborgen dürfen für alle Wechselfälle unseres Lebens. Es war Luthers Lieblingspsalm: der 118.
Von ihm sagt er: „Es ist mein Psalm, den ich liebhabe. Obwohl der ganze Psalter und die Heilige Schrift im Ganzen – die mein einziger Lebenstrost ist – mir auch lieb sind, bin ich doch besonders an diesen Psalm geraten, dass er der meine heißen und sein muss. Denn er hat sich auch gar oft redlich um mich verdient gemacht und mir aus manchen großen Nöten geholfen, wo mir sonst kein Kaiser und keine Könige, Weisen, Klugen oder Heiligen hätten helfen können.“
Das Gotteswort verscheucht die Angst. Luther hat dieses für sich errungen: Glauben heißt Freude haben. Nicht Angst, schon gar nicht Angst vor Gott. Wohl aber Ehrfurcht! Das fand er in den Worten der Bibel wieder. Wir können Gott erfahren – selbst noch am seidenen Faden, davon erzählt der Psalm. Erfahrungen, an denen wir teilhaben dürfen. Lesen reicht dafür!
Gott erfahren - nicht als kleinlich, hinter unsern Vergehen herschnüffelnd, aufrechnend und doch niemals zufrieden mit uns; ein Gott, der uns klein macht und zunichte und dem wir es nie recht machen! – Nein, der findet sich nicht im Psalm; sondern nur der eine: Gott mit seiner Freundlichkeit und Güte.
Als sollten wir es auswendig lernen, fordert der unbekannte Liedermacher alle auf. Israel, das Haus Aaron; alle, die den Herrn fürchten – also uns alle! Sprecht es mir nach, prägt es euch ein, vergesst es bloß nicht: Danket dem Herrn, denn er ist freundlich und seine Güte währet ewig! Lass dirs durch dein Herz gehen; schmecke es mit jeder Faser deines Lebens!
Nun: beim Abendmahl wiederholen wir ja gelegentlich diese Worte. Da klingen sie dann oft heruntergeleiert, formelhaft und blutleer. Aber hinter diesen Worten liegt eine Wegstrecke, die diese Worte gewichtig machen. Sie klingen wie eine Gitarrensaite, die erst der Resonanzkörper eines leidgeprüften Lebens zum Klingen bringt.
Aufgeladen mit Lebenserfahrung, eingegerbte Geschichte, sogar über traumatisches Erinnern hinweg bleiben sie – die guten Erfahrungen. Wenn etwas unsere Sinne beherrschen darf, dann nicht die Angst, sondern die Güte Gottes.
Wie hilflos wir sind, wenn wir uns ängstigen, darüber redet kein Mensch gern. „In der Angst rief ich den Herrn an.“ Kaum mehr kommt dem Psalmbeter über die Lippen. Zeiten des Schreckens deutet der Erzähler höchstens ein wenig an. Konkret wird er nicht, Schweigen ist ihm lieber. Es schützt vor seinem Schmerz.
Menschen verbreiten ja eher was Unmenschliches. Sind sie wirklich berührt von dem, was sie sagen? Der Psalm zeigt uns dagegen den echten Zweifel, den man bei Gott haben kann. Jeder kennt solches bohrende Fragen in stillen Stunden, wenn kein Publikum drumrumsteht. Kann man noch mit Gott rechnen, wenn alles gegen mich steht? Wenn mir das Wasser bis zum Hals geht? Bedrängt sein – das kannte der Psalmbeter. Isoliert, allein, die ganze Welt gegen sich.
Und obendrein noch dieses unbestimmte Gefühl: womöglich ist es Gott selber, der gegen mich angeht. „Der Herr züchtigt mich schwer.“ Das Gefühl, wie verworfen zu sein. Ein unnützer Klotz am Bein, ein Stein, mit dem niemand was anfängt. Der für keine Terrasse mehr taugt, der im neuen Gebäude keinen Platz bekommt. Der nicht mithalten kann mit dem Tempo unserer Zeit, nicht Schritt hält mit den Leistungsanforderungen einer flexiblen Welt, der das Gefühl nicht loswird: Ich bin abgehängt, wenn ich mich nicht angestrengt ins Zeug lege. Und ich muss mich wahnsinnig anstrengen, dass ich mich auf dem Karussell halte.
So erleben es Kinder, die schon als künftige Hochschulabsolventen gesehen werden, so erlebt es die Generation Praktikum: befristete Jobs, geringer Verdienst, die Jobkonkurrenten um einen herum wie der Bienenschwarm. Und ich der Loser? Meine Bewerbung aussortiert?
So erleben es die alten Menschen, die zu vereinsamen drohen, weil ihre Familie über Deutschland verteilt wohnt. Und es fehlt an gemeinsamer Zeit. Manchen ist dieses Wort sehr vertraut: verworfen - etwa auch bei Gott?
„Der Herr züchtigt mich schwer.“ Dieses Befinden wird ernst genommen, sehr ernst. Es bleibt offen, ob es stimmt oder ob es nur die Summe eigenen Scheiterns beschreibt. Und doch, dennoch färbt sich eine ganz andere Farbe in das Grauschwarz der Angst und des Einsamseins. Es ist die blaue Farbe des Himmels, die gelbe der Sonne, die grüne der Landschaft, das Gold Gottes. Hinein in alle Trübsal und manchen Zweifel, wo denn Gott sein mag – in meinem Kladderadatsch jedenfalls nicht... oder doch?
ABER – dieses Wort ist der Pinselstrich, mit dem ein Anderer Farbe in mein Leben hineinmalt. Aber ich werde leben! Aber im Namen des Herrn will ich kämpfen. Aber Gott gibt mich dem Tode nicht preis.
Aber – das ist das Aber des Glaubens. Das Aber, das erfahren hat, dass Gott gerne hilft. Unverhofft, kräftig andersrum als wir, und zwar in Richtung Freude. Und plötzlich jubelt es in uns, tanzt es in den Gliedern, bewegt es sich in der Lähmung, jubelt, gickst und jauchzt es. Auf einmal, nicht wahr, da ist da Gottes Nähe zu spüren. Manchmal nur eine Sekunde lang. Da leuchtet er durch wie Licht durch ein Kirchenfenster.
„Man singt mit Freuden vom Sieg in den Hütten der Gerechten. Gar nicht oft genug ist es zu wiederholen: Die Rechte des Herrn behält den Sieg.“ Und wir mit ihm! An seiner Rechten hält er uns doch, oder? Hier merken wir, warum Christen Kreuz und Auferstehen Jesu in diesen Worten finden. „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen!“
Er ist doch der Stein, der vor Jerusalem entsorgt werden sollte, den die Bauleute verwarfen. Weg mit ihm, er stört, er entspricht nicht unserem Lebensgefühl, er gehört nicht in einen starken Selbstentwurf, er ist eine Antifigur für schönes, selbstbestimmtes, kraftvolles Leben. Verworfen werden, das hat Christus zur Genüge erlitten. ABER gerade ihm – dem Verworfenen - schafft Gott volle Anerkennung. Setzt ihn ins Recht, verhilft ihm zum Sieg.
Und nicht für ihn allein – uns stellt er mit auf sein Siegertreppchen – Platz 1. Den Jugendlichen, der auf dem Schulhof gemobbt wird und der in der Sportstunde immer als letzter übrig bleibt, der sich ein wenig linkisch benimmt und tolpatschig wirkt. ABER gerade der entdeckt, dass er eine Jungschar leiten soll – und die Kinder lieben ihn. Sein Wort ist Evangelium, er wird Vorbild für die Kids– vielleicht gerade weil er zeigt, wie man mit Schwächen leben darf, wenn man glaubt. Das lernbehinderte Mädchen, das keinen Job findet. Bis sie eines Tages in der Krankenhauskantine anfangen kann und die Gäste sagen – wer macht eigentlich diesen leckeren Nachtisch – UNSERE Sabine heißt dann die Antwort.
Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Gott baut seine Welt mit Verworfenen. Er baut seine Welt mit uns als Gemeinden, die so herrlich unperfekt sind. Er baut seine Welt mit dir und mir – nicht mit unseren Stärken, sondern mit unseren Schwächen und mit unseren brüchigen Lebenserfahrungen.
Jeder von uns braucht es, dass wir für etwas bedeutsam sind. Für die Familie, für den Verein, für die Wissenschaft oder eben fürs Nachtischmachen. Gott baut uns ein, macht uns bedeutsam, gewichtig. Er baut auf und zieht nicht runter. Wenn du es anzweifelst, so lies es ab an seinem verworfenen Sohn. Ihn hat er zum Eckstein, zum Fundamentstein seiner Kirche gemacht. Ohne diesen Stein würde der Bau in sich zusammenkrachen.
Auf einmal leuchtet Gottes Handschrift auf. Sie will auch durch unseren Alltag leuchten. Deshalb habt ihr alle ein Transparentpapier. Unser Kirchentagslogo ist drauf. Wenn man es gegen das Licht hält, leuchtet es in den österlichen Gottesfarben: blau, gelb, grün, rot, gold. Nehmt es am Tagesanfang, hängt es euch ans Fenster und wenn der Tag so typisch mausegrau wird, wenn die Aufgabenliste so bleischwer lastet, wenn das Gefühl sich einschleicht "wer braucht mich denn schon"... dann halte es gegen das Licht und lass dich erinnern: Gott verwandelt deinen Tag und zeigt dir deinen Wert.
Und dann sprechen wirs nach: Wahrhaftig: Dies ist der Tag, den der Herr macht, lasst uns freuen und fröhlich an ihm sein. Er rehabilitiert den Außenseiter, er macht den Kleinen ganz groß, er – und da halten wir den Atem an: Er lässt den Sterbenden nicht im Tode. Freude des Glaubens ist keine harmlose Wellnessoase. Und Gott ist kein Schoßhündchen. Es ist gedrungene Erfahrung durch Wüsten und Durchstrecken hindurch und gerade darum echte Freude, gerade darum nicht zu leicht befunden, schon gar nicht oberflächlich, erst recht nicht: Hauptsache du hast Spaß.
Freude aus Gott überzeugt. Am besten in der Gemeinschaft der Unperfekten. Im Wechsel verschiedener Gruppen. Sie antworteten im Tempel auf diesen einen Liedermacher. Und sein Lied wurde größer, wuchs zur Gewissheit und steckt an zur Freude an Gott. Lieder können uns stärken. Selbst wenn uns das Singen im Halse stecken bleiben sollte. Selbst wenn uns der Glaube abhanden kommen will. Dann singen die Anderen für uns.
Sie singen uns die österlichen Farben in die Seele. Und wir brummen es mit, wir summen es mit, wir singen es mit, weil irgendwann der Widerstand zwecklos ist, klingt es aus uns heraus „Herr sei die Freude, die alle Welt durchdringt, Freude, die mir im Herzen klingt. Lass die Freude leben und lebe Herr in mir – ich lobe dich und ich danke dir.
Amen"