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'Es geht um Identität'
CSD-Gottesdienst in der Martinikirche

29.7.2019

Mit einem Gottesdienst zum Thema „Nicht mehr Schweigen“ haben sich Gläubige am Freitagabend in der Martinikirche auf den Siegener Christopher Street Day (CSD) eingestimmt. Während der Demonstrationszug homo-, bi- und transsexueller Menschen mit anschließendem Straßenfest am Samstag bereits zum 20. Mal durch die Siegener Innenstadt zog, feierte auch der CSD-Gottesdienst mit seiner zehnten Ausgabe einen runden Geburtstag. Die Mitwirkenden warfen darin einen Blick zurück auf die Diskriminierungsgeschichte von lesbischen, schwulen und transsexuellen Menschen in Deutschland und die lange Auseinandersetzung um gleiche Rechte.

 

In seiner Predigt betonte der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Siegen, Peter-Thomas Stuberg, dass es in dieser Auseinandersetzung um mehr gehe als Sexualität. „Es geht um die ungeteilte Identität als Person.“ In der Predigt über die biblische Geschichte der Heilung eines Taubstummen durch Jesus sagte der leitende Theologe des Kirchenkreises, Christus erwecke unsere Stimme, Realität und Identität. „Er erweckt uns für ein volles Leben. Nicht zwiegespalten, nicht heimlich, nicht schizophren.“ Alle Menschen vereine die Sehnsucht danach, dass jemand sage: „Es ist gut, dass du da bist, wie du bist.“

 

Stuberg räumte ein, es gebe nicht wenige Christen, „die an dieser Stelle nicht mehr mitgehen können“. „Sie wollen - genauso wie wir alle - wahrhaftig und mit Ernst Christen sein und der Bibel ebenso gewissenhaft entsprechen.“ Zugleich sagte Stuberg, die Bibelstellen, die Homosexualität besonders bei Männern verurteilen, zielten auf sexuelle Praktiken, die andere Menschen zum bloßen Objekt der eigenen Lust degradierten. Eine auf gegenseitiger Verantwortung und Treue beruhende gleichgeschlechtliche Partnerschaft kenne die Bibel nicht. „Aber genau darum geht es für diejenigen, die sich danach sehnen, mit einem anderen Menschen das Leben in seiner Gesamtheit zu teilen“, sagte Stuberg. „Vielleicht müssen wir, die wir homosexuelle Menschen zum Schweigen verurteilt haben, unsererseits zur Empathie erweckt werden, zum Verstehenwollen und vor allem zum Zuhören.“

 

Hans-Friedrich Conrad aus dem Organisationsteam des CSD-Gottesdienstes verknüpfte in einem persönlichen Beitrag die Geschichte der Diskriminierung von Lesben und Schwulen mit seiner eigenen Lebensgeschichte. Der 80-Jährige berichtete davon, in den 50er Jahren als schwuler Mann und Christ aufzuwachsen. In einer Zeit, als männliche Homosexualität strafbar war, hatte er nicht nur mit Angst vor Entdeckung und Strafe zu kämpfen, sondern auch mit Glaubenszweifeln: „Ich zweifelte an Gott, dem Gott, der mich so hat werden lassen, aber dem es ein Gräuel sein soll, dass ich so bin, wie ich bin.“ Jahre später erlebte Conrad die zunehmende rechtliche Gleichstellung von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen und konnte mit Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft 2001 und schließlich der Ehe für alle 2017 seinen Mann heiraten. Seinen Lebensweg zeichnete Conrad auf dem Boden der Martinikirche auf einer symbolischen Straße mit Steinen, aber auch zahlreichen Meilensteinen nach. Viele Gottesdienstbesucherinnen und -besucher nutzten die Gelegenheit, diesen Weg mit Kerzen, Blumen und selbstgeschriebenen Botschaften für ihre eigenen Erlebnisse zu ergänzen.

Hinweis: Die komplette Predigt von Superintendent Peter-Thomas Stuberg können Sie hier nachlesen.

 

Text und Foto: Jasmin Maxwell-Klein

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