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Wenn die GemeindeSchwester klingelt
Gelebte Diakonie in Siegerländer Gemeinden

10.7.2020

Im Siegerland sind wieder GemeindeSchwestern unterwegs. Sie klingeln an oft fremden Haustüren, besuchen kranke und alte Menschen und schenken ihnen ein offenes Ohr. Von den Diakonissen, die früher als Gemeindeschwestern häusliche Krankenpflege leisteten, unterscheiden sich die modernen GemeindeSchwestern aber nicht nur durch die Schreibweise: Sie leisten keine Pflege, sondern Seelsorge, und ihr Aufgabengebiet ist breit gefächert: Neben Krankenbesuchen sind sie in der Flüchtlingshilfe und bei der Tafel tätig oder begleiten trauernde Menschen. 2009 rief das

Diakonissenmutterhaus des Diakoniewerks Ruhr Witten die berufsbegleitende Weiterbildung zur GemeindeSchwester ins Leben, die rund drei Jahre dauert. Drei Siegerländerinnen haben in diesem Jahr ihren Abschluss gemacht, zwei weitere sind noch in der Ausbildung, die vom Diakonischen Werk im Evangelischen Kirchenkreis Siegen finanziert wird. Parallel arbeiten sie bereits in ihren Kirchengemeinden, meist neben ihrem Hauptberuf auf geringfügiger Basis. In Videos und Texten erzählen vier Siegerländer GemeindeSchwestern hier, was sie an ihrer Arbeit begeistert.

 

Judith Luckgardt, Kirchengemeinde Niederdresselndorf

 

 

Als Judith Luckgardt erfuhr, dass ihre Kirchengemeinde Niederdresselndorf eine GemeindeSchwester sucht, winkte sie erstmal ab. Schließlich war sie in ihrem Beruf als Krankenschwester in der Nachtwache ausgelastet und brauchte keinen Nebenjob. Doch die Bekannte, die ihr die Ausschreibung in den Briefkasten gesteckt hatte, ließ nicht locker. Ein paar Tage später lag ein weiterer Zettel in der Post: „Am Montag ist Bewerbungsschluss.“ Luckgardt kam ins Nachdenken. „Ich bin in mich gegangen, habe mit meiner Familie gesprochen und am Sonntagnachmittag meine Bewerbung geschrieben“, erzählt sie. Heute macht sie als GemeindeSchwester in Niederdresselndorf Krankenbesuche und arbeitet in der Burbacher Tafel mit. Bereut hat sie ihre Entscheidung nie: „Ich mag, dass die Begegnungen so vielfältig sind“, erzählt die 55-Jährige. „Jeder Besuch läuft anders, es gibt keine Regeln, keine Formel.“ Nicht nur bei Krankenbesuchen, auch in der Tafel stellt sie sich spontan auf ihr Gegenüber ein, ist Ansprechpartnerin für Sorgen und Nöte der Kunden. „Manche winken schon, wenn ich reinkomme, auf andere gehe ich zu, wenn ich sehe, dass sie geknickt in der Ecke sitzen“, erzählt Luckgardt. Oft leistet sie praktische Hilfe, vermittelt etwa Kontakt zum Senioren- oder Familienbüro in Burbach. Ihr schönster Erfolg? „Wenn jemand eine Sorge hatte und hinterher ein Lächeln im Gesicht hat.“

 

Sonja Sabel, Kirchengemeinde Rödgen-Wilnsdorf

 

 

Sonja Sabel hat als GemeindeSchwester ihr Ehrenamt zum Beruf gemacht: Seit Jahren ist sie in der Flüchtlingsarbeit der Kirchengemeinde Rödgen-Wilnsdorf aktiv, vor drei Jahren schlug ihr Pfarrer ihr vor, ihr Engagement als GemeindeSchwester zu professionalisieren. Heute ist sie es, die die Arbeit der Ehrenamtlichen koordiniert. Weil in der Flüchtlingshilfe mit der Zeit weniger Unterstützung benötigt wurde, macht Sabel heute auch Seniorenarbeit. Unter anderem hat sie ein Netzwerk für gemeinsame Freizeitgestaltung ins Leben gerufen. Gerade plant sie ein Repair-Café. „Ich schaue: Was ist in der Gemeinde gerade dran, welche Arbeit wird gebraucht?“, sagt Sabel. Die Weiterbildung zur GemeindeSchwester in Witten bringe ihr durch den Austausch mit den anderen Frauen wertvolle Impulse. „Ich genieße es, dass man über den Tellerrand seiner Gemeinde hinausblicken kann.“ Mit 42 Jahren ist Sabel in ihrem Ausbildungsjahrgang mit Abstand die Jüngste. Das Alter sei zwar nicht so entscheidend, sagt sie, aber: „Man muss ein Stück Lebenserfahrung mitbringen.“

 

Andrea Burrows, Kirchengemeinde Burbach

 

 

Viel Lebenserfahrung fließt auch in die Arbeit von GemeindeSchwester Andrea Burrows ein. Die 54-Jährige kümmert sich in der Kirchengemeinde Burbach um trauernde Menschen. Wenn sie ihren Pfarrer zu Beerdigungsgesprächen begleitet, nimmt sie einen Handschmeichler mit, ein kleines Kreuz, das sie den Angehörigen mitgibt. „Oft kommen sie später auf mich zu und haben dieses Kreuz in der Hand“, erzählt sie. Mit solchen Gesten, aber vor allem mit Gesprächen, Spaziergängen und persönlich geschriebenen Karten will Burrows, die selbst Witwe ist, Hinterbliebene in ihrer Trauer ein Stückweit unterstützen. Im Trauercafé in Wahlbach bietet sie ihnen zudem einen Ort für den Austausch untereinander. Auch Besuche bei alten und kranken Menschen gehören zu ihrer Arbeit. GemeindeSchwestern kümmerten sich um Menschen, die sonst in der Gemeinde wenig präsent seien, weil sie nicht mehr in den Gottesdienst oder zu Gruppentreffen kommen könnten, sagt Burrows. Diakonie, also der Dienst am Nächsten, sei eine Grundaufgabe von Kirche. „Und Diakonie muss gelebt werden, damit wir als Kirche ernstgenommen werden.“

 

Susanne Ofori, Kirchengemeinde Oberfischbach

 

 

„Es soll niemand übersehen werden“, sagt auch Susanne Ofori. „Kirche muss auf die Menschen achten, denen es nicht gut geht, denen das Leben aus irgendeinem Grund schwerfällt.“ Deshalb steht Ofori manchmal einfach vor einer fremden Haustür und klingelt. Sie weiß: In dem Haus wohnt jemand, der krank ist, vielleicht gerade aus der Klinik entlassen wurde. Wenn die Tür geöffnet wird, stellt Ofori sich vor: Sie ist GemeindeSchwester und besucht im Auftrag der Evangelischen Kirchengemeinde Oberfischbach erkrankte Menschen zuhause. Überraschte Blicke erntet Ofori oft, erzählt sie, „aber es ist eine freudige Überraschung. Ich habe bisher noch keine Ablehnung zu spüren bekommen.“ Dass sie ihre Besuche meist nicht ankündigt, hat einen guten Grund: „Wenn die Leute wissen, dass man kommt, dann wollen sie Kaffee kochen und sich vorbereiten. Aber das will ich gar nicht.“ Ofori will einfach für die kranken und teils einsamen Menschen da sein. Sie höre ihnen zu und manchmal schweige sie mit ihnen, erzählt sie. Wenn nötig, dann vermittele sie passende Hilfsangebote. Sie erlebe, dass die Menschen sich freuten, wenn sie merkten: Die Kirchengemeinde hat mich im Blick.

 

Bild oben: Die Siegerländer Schwestern in Zeiten vor Corona: v.l.n.r. hinten: Judith Luckgardt, Susanne Ofori, Sonja Sabel, vorne: Martina Müller und Andrea Burrows.

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