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Streitbares Reformiertes Gemeindeforum
Popmusik gegen Hochkultur?
19.10.2012
Bad Berleburg. In der Pause hatte Hartmut Weidt als Kantor des Evangelischen Kirchenkreises ein bisschen Bedenken, ob der Moderator auf der Bühne wirklich unparteiisch sei. Schließlich habe er dem Befürworter der Popkultur in der Kirche deutlich mehr Raum gegeben als dem Verfechter der Hochkultur. Der Schiedsrichter war Dr. Vicco von Bülow, Landeskirchenrat für Theologie, Gottesdienst, Kirchenmusik in der Evangelischen Kirche von Westfalen, der Streiter für die Popmusik im Gottesdienst Dr. Harald Schroeter-Wittke, Professor für Evangelische Religionspädagogik und Kirchengeschichte in Paderborn, der Verteidiger der alten anspruchsvollen Werke und Meister im Kirchenalltag Andreas Marti, Professor für Theoretische und Praktische Kirchenmusik in Bern. Sie alle trafen sich mit ungefähr 60 weiteren Zuhörern bei der Diskussionsveranstaltung Hochkultur oder Popkultur? im Berleburger Christus-Haus. Das Reformierte Gemeindeforum Südwestfalen, das zweimal im Jahr in den Evangelischen Kirchenkreisen Siegen und Wittgenstein Veranstaltungen organisiert, die sich insbesondere mit dem reformierten Erbe der Region beschäftigen, hatte im derzeit laufenden Jahr der Kirchenmusik dankend das Angebot der Evangelische von Westfalen angenommen, dieses Streitgespräch in diesem Rahmen durchzuführen. Die Wittgensteiner Verkehrsferne hielt zwar manch einen, der eine weiteren Anreise gehabt hätte, vom Besuch ab, dennoch hatten wenigstens diverse Siegerländer Pfarrer und Wittgensteiner Musikschaffende den Weg nach Bad Berleburg gefunden.Vicco von Bülow war bereits im Sommer schon einmal im Wittgensteiner Kirchenkreis, bei der Eröffnung der Spirituellen Tage in Schmallenberg, in deren Organisation sich ja auch die Wittgensteiner Kirchengemeinde Gleidorf sehr stark einbringt. Und in Bad Berleburg kannte er ohnehin auch jemanden, denn der Mann mit dem vertrauten Namen hatte seinen Vikariatskurs gemeinsam mit der Berleburgerin Pfarrerin Claudia Latzel-Binder absolviert. In ihrer kurzen Andacht am Anfang überlegte sie schon mal: Was um Himmels ist denn schöner Gesang? Ihre familieninterne Lösung für die letzte Urlaubsfahrt: Alle vier Familien-Mitglieder durften jeweils 30 Lieder auf ein Speichermedium für das Autoradio ziehen. Jeder konnte sicher sein, dass irgendwann eines seiner Lieblingslieder kam. Und noch besser: Zwischendurch wurde über die Lieder gesprochen, die einem der drei Anderen gefielen. Nach dieser Vorrede begannen dann die Diskussionen um Hoch- gegen Popkultur. Vicco von Bülow nannte das 2011 erschienene Buch Reformierte Liturgik kontrovers als Ausgang für diesen Abend, darin hatten nämlich die beiden Diskutanten des Abends ihre Plädoyers für die eine oder die andere Musikform schriftlich vorgelegt und waren auch auf den jeweils Anderen eingegangen. Und so wurde der Ring freigegeben.Harald Schroeter-Wittke warb für die Unterhaltung im Gottesdienst, die nach seiner Meinung nicht nur genießen lasse und die Geselligkeit belebe, sondern den Zuhörer auch wirklich nähren könne: Gottesdienst als gute Unterhaltung bedeutet daher, den Menschen in ihren Geschichten mit göttlicher Geschichte so Unterhalt zu gewähren, dass sie vorübergehend Halt gewinnen. Andreas Marti warnte ein Dekret des Konzils von Trient aus 1562 zitierend vor leerem Ohrenschmaus und warb stattdessen dafür, dass Musik im Gottesdienst die Sehnsucht nach himmlischer Harmonie wecken solle. Aber auch als altgedienter Organist redete auch er nicht einem Alleinvertretungsanspruch der Hochkultur das Wort, vielmehr bezog er Stellung gegen den immer stärkeren Verdrängungsprozess: Die Hochkultur müsse weiter ihren Platz im Gottesdienst haben. Auch für Beerdigungen und Trauungen müsse letztendlich gelten: Den Rahmen setzen wir. Es gehe darum, die Hoch- und die Popkultur ins rechte Verhältnis zu setzen.
Nach der Pause kamen dann die bisherigen Zuhörer zu Wort. Die Provokations-Strategie von Harald Schroeter-Wittke ging auf, im zweiten Teil war er es vor allem, der seine manchmal sehr plakativen Sätze immer wieder rechtfertigen musste, so hatte er schon wieder die größten Rede-Anteile. Hartmut Weidt forderte für die Gottesdienst-Musik die Kategorie der Angemessenheit ein und erinnerte gerade beim reformierten Gemeindeforum gern daran, dass es nicht Luther, sondern die reformierten Reformatoren gewesen seien, die befürchtet hätten, dass mehrstimmige Lieder oder Instrumente die Gemeinde vom Eigentlichen im Gottesdienst ablenken könnten. Jan Vering, als Musik-Dramaturg des Siegener Apollo-Theaters ebenfalls im Publikum, widersprach entschieden Schroeter-Wittkes These, dass es in der Musik wie auch ganz allgemein keine Tiefe gebe, wenn man in die Tiefe schaue, dann werde auch sie zur Oberfläche. Schroeter-Wittkes berechnende Provokation, auch gleich mal noch das Hohelied der Oberflächlichkeit zu singen, war aufgrund seiner rhetorischen Taschenspielertricks irgendwie unterhaltsam, trug aber letztendlich nichts zur Klärung in der Diskussion bei. Wobei es Harald Schroeter-Wittke war, der am Ende zugab, dass die Lösung des mutmaßlichen Problems zwischen Hoch- und Popkultur schon von Claudia Latzel-Binder in dem Urlaubs-Beispiel der Anfangsandacht aufgezeigt worden sei. Da habe er für sich gedacht: Ich kann nach Hause fahren, es ist alles gesagt.Dennoch wurde im Verlaufe des Abends noch viel geredet, übrigens auf sehr geistreiche Art. Die Spiegelfechtereien der Diskutanten waren erfrischend, provokant und unterhaltsam, genau wie die von den Diskutanten eingespielten längeren Musikstücke: am E-Piano von Harald Schroeter-Wittke, am Cembalo von Andreas Marti. Und hier siegte dann auch mal der Schweizer: Während Harald Schroeter-Wittke mit den Tier-Gebeten von Frieder Meschwitz nur ein Stück mitgebracht hatte, spielte Andreas Marti sowohl das Ricercar zu sechs Stimmen als auch die Toccata in d-moll von Johann Sebastian Bach. Wobei er beim letzten Stück selbst augenzwinkernd die Frage aufwarf, ob das jetzt eigentlich Hoch- oder Popkultur sei. Trotz dieses Brückenschlags hatten beide Diskutanten auch am Ende noch ihre jeweils eigene Position. Pfarrer Dieter Kuhli als Vorsitzender des Trägerkreises des Reformierten Gemeindeforums hatte nichts anderes erwartet, aber er unterstrich noch einmal, dass die Diskussion stets in gegenseitiger Achtung geführt worden sei. Dafür dankte er Andreas Marti und Harald Schroeter-Wittke, Vicco von Bülow dankte der Laaspher Pfarrer für die Idee zu diesem Abend. Und ganz am Schluss lud Dieter Kuhli noch zum nächsten Reformierten Gemeindeforum ein, dieses findet Mitte April 2013 im Hilchenbacher Gemeindehaus statt und beschäftigt sich mit dem Heidelberger Katechismus, der im nächsten Jahr den 450. Jahrestag seiner ersten Auflage feiert.
Jens Gesper
Text zum Bild: (Foto Jens Gesper)
Friedlich und fröhlich stellten sich nach der Diskussion zwischen E-Piano und Cembalo alle zum Gruppenbild auf. Im Einzelnen waren das: Andreas Marti, Dr. Harald Schroeter-Wittke, Berleburger Ortspfarrerin Claudia Latzel-Binder, Dr. Vicco von Bülow, Pfarrer Dieter Kuhli als Vorsitzender des Trägerkreises Reformiertes Gemeindeforum (von links).
Foto oben: Sie diskutierten auf dem Berleburger Podium beim Reformierten Gemeindeforum: Dr. Harald Schroeter-Wittke, Dr. Vicco von Bülow, Andreas Marti (von links).
Der altgediente und passionierte Organist Andreas Marti spielte und diskutierte für die Hochkultur am Cembalo.
Dr. Harald Schroeter-Wittke plädierte in der Diskussion und am E-Piano für die fröhliche Unterhaltung auch im Gottesdienst.
Vehement widersprach Jan Vering (rechts), Musik-Dramaturg des Siegener Apollo-Theaters, Harald Schroeter-Wittkes These, dass es in der Musik keine Tiefe gebe, wenn man in die Tiefe schaue, dann werde auch sie zur Oberfläche. Da half es auch nichts, dass Harald Schroeter-Wittke ein Werk von Jan Vering in seinem Plattenschrank stehen hat.