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Menschenwort oder Gotteswort
Zugänge zum Verstehen der Bibel

30.5.2014

Wie kann Gemeinde Jesu angemessen mit dem Wort Gottes umgehen? Unterschiedliche Zugänge führen zu unterschiedlichen Verstehensweisen. Auch bei dem Thema Homosexualität geht es in der christlichen Gemeinde nicht zuletzt um das Verständnis der Bibel. In der Evangelischen Landeskirche von Westfalen (EKvW) und auch im Ev. Kirchenkreis Siegen kam eine Debatte auf, ausgelöst durch die Hauptvorlage der EKvW mit dem Titel „Familien heute – Impulse zu Fragen der Familie“. Der Kirchenkreis nahm dies zum Anlass, verschiedene Vorträge mit Gesprächsmöglichkeit anzubieten zu den Themen Homosexualität, Bibelverständnis und Ehe.

Fast 100 Zuhörer konnte Superintendent Peter-Thomas Stuberg am vergangenen Dienstag (25. Mai 2014) im Gemeindezentrum Kaan-Marienborn begrüßen und griff die Fragestellung auf: Wie kann ich die Bibel lesen und welche Deutungsmöglichkeiten lassen das Wort Gottes verstehen? Ist es wortwörtlich zu lesen oder gilt es, den Sinn zu erfassen? Ist es Wort Gottes in Menschenwörtern?

Prof. Dr. Georg Plasger, Theologe an der Universität Siegen, zeigte zunächst in einigen Grundzügen vier Modelle des Bibelverständnisses mit ihren jeweiligen Stärken und Schwächen auf.

Da gebe es diejenigen, die sagten, die Bibel sei schön und höben ihre literarische Qualität hervor. Damit werde der menschliche Charakter der Bibel betont und ihre gesellschaftlich-kulturelle Prägekraft herausgestellt. Die Besonderheit der Bibel und dass sie von Gott rede, werde bei diesem Verständnis nicht erkennbar. Hier redeten lediglich Menschen von Gott.

Im 16. und 17. Jahrhundert sei die Theorie der Verbalinspiration entstanden. Sie besage, Gott habe im Heiligen Geist den Schriftstellern der Bibel ihre Worte diktiert, irrtumslos und widerspruchsfrei. Die Stärke dieser Verstehensweise sieht Plasger darin, dass ernst genommen werde, dass die Bibel von Gott und Gottes Handeln berichte. Diese Lehre maße sich auch nicht an, über der Bibel zu stehen. Allerdings würden Spannungen und Widersprüche harmonisiert und der menschliche Charakter der Bibel gering geschätzt. In der Praxis diene die Bibel häufig zur Bestätigung eigener Glaubensaussagen.

Georg Plasger geht auch auf die Entmythologisierung der Bibel durch Rudolf Bultmann ein. Danach müsse jeder Mensch selber erfahren, dass Gott zu ihm rede. Bei Bultmann hätten nicht frühere Tatsachen Bedeutung, sondern der Glaube. Zu wissen, meine Sünden sind mir vergeben, habe Bultmann betont, dessen Aussage laute: „Gott kommt und vergibt Sünden“. Der Theologe habe versucht, die grundlegenden wichtigen Teile der Bibel von den zeitbedingten Teilen zu unterscheiden. Dies, so Plasger kritisch, führe zu einer subjektiven Auswahl. Zu den Stärken zählt er, dass dieses Model vom heutigen Handeln Gottes ausgehe und die Bibel nicht in der Geschichte stehen lasse. Es betone den menschlichen und zeitbedingten Charakter der Bibel.

Von Friedrich Daniel Schleiermacher (1768–1834) stammt die Betonung der Erfahrungen und Erlebnisse, die zu dem Bibeltext geführt haben. Nach Schleiermacher könne man nur aufgrund von Erfahrungen von Gott reden. Diese Betonung gehe davon aus, dass Menschen auch heute Gotteserfahrungen machten. Dabei sei nicht die Bibel selbst entscheidend, sondern das hinter den Worten stehende Erlebnis der Gottesbegegnung als menschliche Erfahrung.

Nach diesen vier Modellen geht Plasger auf seine eigene Sicht des Bibelverständnisses ein. Sie lautet: Die Bibel bezeugt Gottes Wort. Zunächst einmal sei die Bibel ein Buch, dass in der Antike entstanden und prinzipiell mit anderen Büchern vergleichbar sei. Sie habe die abendländische Kultur sehr geprägt, was allerdings bei abnehmender Bibelkenntnis nicht mehr verstanden werde. Besonders im Vergleich mit anderen Büchern sei die Bibel wegen ihres Inhalts. Sie erzähle im Alten Testament und Neuen Testament die eine große Geschichte Gottes. In der Mitte der Bibel stehe Jesus Christus, der nach Johannes 1 das Wort Gottes sei. In ihm habe Gott zu den Menschen geredet und tue es auch heute noch. Plasger: „Die Bibel ist also das Wort vom Wort Gottes – und ohne Bibel kommen wir nicht zum Wort Gottes“. Dies werde jedoch allein durch die Lektüre der Bibel nicht deutlich. In ihr würden Geschichten und Begebenheiten aus antiken fremden Welten erzählt, die etwa die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht kennen und deshalb auch nicht beantworten könnten. Menschen aus Fleisch und Blut hätten in unterschiedlicher Zeiten ihre Weltsicht in die biblischen Texte einfließen lassen. Georg Plasger: „Wir haben die Bibel nicht ohne die Theologien der biblischen Autoren.“ Entscheidend ist für den Theologen, „dass Gott selber uns die Heiligkeit und Besonderheit dieser einen die Welt und mich verändernden Geschichte zu erkennen gibt: Das nennen wir das Wirken des Heiligen Geistes.“ Plasger weiter: „Nur wenn der Heilige Geist uns die Bibel zum Wort Gottes macht, wenn er uns in die Bibel und also in die Geschichte Gottes mit seiner Menschheit hineinzieht, wenn er sich uns gegenwärtig macht, dann ist die Bibel für uns etwas Besonderes.“ Die Reformation habe vor allem die Predigt als den Ort bezeichnet, in dem das Wirken des Heiligen Geistes als lebendige Stimme in besonderer Weise zu erwarten sei. Eine kirchliche Verfügbarkeit des Wirkens des Heiligen Geistes gebe es nicht. Der Geist Gottes wehe wo und wann er wolle. Für den Theologen beleibt eine unauflösbare Spannung bestehen zwischen der heiligen Bibel, die von Gottes Weg mit den Menschen erzählt, und dem Daherkommen in menschlichen und damit fragwürdigen Worten, die diese Heiligkeit nicht sichern könnten. Für den Theologieprofessor lässt sich daraus nur folgern, dass eine gute Kenntnis der Bibel erforderlich sei, weil sie sonst nicht zu uns sprechen könne. Und es brauche die Bitte um das Kommen des Heiligen Geistes, der die Bibel als Wort Gottes erschließe.

Die Frage, wie denn nun die biblischen Aussagen zur Homosexualität zu interpretieren seien, konnte an dem Abend auch in der Diskussion nicht eindeutig beantwortet werden. Nach Sicht des Referenten müsse man vermeiden, die eigene Auffassung in einen Bibeltext hineinzutragen. Ein nur buchstäbliches Lesen der Bibel nehme sie nicht ernst. Es gebe keinerlei antike Hinweise auf eine angeborene Homosexualität, wie man sie heute sehe. Das Denken darüber zur Zeit der Entstehung der Bibel sei nicht bekannt. Die Bibel beantworte nicht die Frage nach unserem Umgang mit der Homosexualität. Kritisch bemerkt Plasger, dass ein Mensch nicht nur auf seine Sexualität festgelegt und damit darauf reduziert werden dürfe. Er sehe in der Ausgrenzung das größere Problem. Plasger: „Als Gemeinde Jesu Christi trauen wir aber einander zu, dass es uns ernst damit ist, miteinander und voneinander lernen zu wollen. Und wir rechnen damit, dass die Bibel nicht nur andere Auffassungen kritisch sieht, sondern vielleicht auch unsere eigene.“

kp

 

Text zum Bild: (Foto Karlfried Petri)

Prof. Dr. Georg Plasger, Universität Siegen, referierte über Verstehensmöglichkeiten der Bibel und erläuterte seine Sicht: Die Bibel bezeugt Gottes Wort. Gottes Wort ist Jesus Christus.

 

Veranstaltungshinweis:
Eine weitere Vortragsveranstaltung des Ev. Kirchenkreises Siegen findet im Gemeindezentrum Kaan-Marienborn, Augärtenstraße 4, 57074 Siegen, statt:

Am Dienstag, 17. Juni, 19 Uhr, spricht Dr. Jochen Denker, Wuppertal, zum Thema: Erdet die Ehe – Zwischen Sakrament und Lebensabschnittsbeziehung. Auf der Suche nach gemeinschaftsgerechten Lebensformen.

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