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Die Angst ist vorbei
Flüchtlingsausweise als gutes Ende eines Kirchenasyls in Wenden

31.10.2014

Es war ein Abschiedsessen der besonderen Art, das vorgestern Abend (29. Oktober 2014) im Evangelischen Gemeindezentrum Wenden stattfand. Rokn Farman hat für alle gekocht, arabisches und kurdisches Essen. Ihr und ihrem Bruder Hzni ist wehmütig ums Herz. Sie sind traurig und doch zugleich fröhlich und voller Hoffnung. Rokn und Hzni Farman sind seit kurzem als Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt und werden ihr Kirchenasyl in Wenden verlassen. Nun können Sie sich frei bewegen, sich eine Arbeit suchen und ihr weiteres Leben gestalten. Die Evangelische Kirchengemeinde Olpe ist erleichtert, dass ihr Asyl gewähren einen guten Ausgang genommen hat. Und doch ist noch nicht alles gut.

Bis zu diesem Abendessen haben die beiden Geschwister aus Alkahtania, Syrien, eine lange von Angst gepeinigte Zeit hinter sich. Sie gehören der nicht-muslimischen Volksgruppe der Jesiden an, einer Minderheit innerhalb der kurdischen Minderheit im Nordosten Syriens.

Hzni erklärte, warum er fliehen musste: „Ich habe als Maurer gearbeitet. Der Bürgerkrieg hatte auch mein Heimatdorf erfasst. Mir drohte der Einzug in die Rebellenarmee, aber ich wollte nicht mit Waffen kämpfen.“ Rokn Farman wurde als Sekretärin und Arzthelferin ausgebildet. Sie erzählte: „Meine Familie hat mich wegen des Bürgerkrieges in unser Heimatdorf zurückgeholt. Das Dorf wurde inzwischen zum Kriegsgebiet. Granatenbeschuss und nächtliche Plünderungen waren an der Tagesordnung. Meine Eltern wollten uns in Sicherheit bringen zu ihren Geschwistern in Deutschland. Außerdem leben bereits drei von uns sieben Kindern in Cloppenburg und Paderborn.“

Auf der Flucht

Die Eltern verkauften für die Flucht ihrer Kinder Schafe und ihr Land. Eine Schleuserorganisation nahm sich der beiden am 21. Juni 2012 und 5 Uhr frühmorgens an. Mit ihren Ausweisen passierten sie die türkisch-syrische Grenze und reisten in die Türkei ein. Mit anderen Flüchtlingen ging es weiter zur Mittelmeerküste. Mehrere Tage fuhren sie mit 11 weiteren Flüchtlingen auf einem 16 m langen Boot, das von zwei Bootsführern gesteuert wurde über das Mittelmeer. Am vierten Tag versagte der Motor endgültig seinen Dienst. Über Stunden trieb das Boot auf dem Meer. Nachts um zwei begegneten sie einem anderen ebenso großen mit 12 Personen besetzten Flüchtlingsboot in das sie umsteigen konnten. Das völlig überfüllte Boot fuhr weitere vier Tage und Nächte zu einem Küstenabschnitt Italiens und wurde nachts von einem Patrouillenboot der italienischen Küstenwache aufgebracht. Die syrischen Flüchtlinge, 9 Männer, 12 Frauen, eine davon schwanger, und 4 Kinder wurden mit einem Bus in eine leer stehende Schule bei Rocello gebracht. Für die schwangere Frau wurde eine Ambulanz angefordert. Eine ärztliche Versorgung der Übrigen gab es trotz Bitten nicht.

Die beiden Geschwister erklärten, dass sie zu Verwandten nach Deutschland weiterreisen wollten. Sie verweigerten eine Registrierung in Italien, da ihnen sonst der weitere Weg versperrt gewesen wäre. Das Rote Kreuz wurde vermittelnd tätig.

Hzni und auch seine Schwester Rokn wurden, so die Informationen der Kirchengemeinde, als sie weiterreisen wollten, von zivilen Polizisten mit Fäusten und Tritten geschlagen und beschimpft. Ihnen wurden die Fingerabdrücke zur Registrierung abgenommen. Abenteuerlich die weitere Flucht bis nach Deutschland in ein Parkhaus an einem unbekannten Ort. Von dort nahmen sie Verwandte in ihre Obhut in Ostwestfalen. Am 2. August 2012 haben die beiden in Dortmund ihre Asylanträge gestellt und ihre Pässe abgegeben. Sie wurden dem Kreis Olpe zugewiesen und hielten sich für die Zeit der Prüfung der Asylanträge von Mitte August 2012 bis Mitte April 2013 in einer Notunterkunft auf. Am 12. April 2013 wurde ihnen mit Hinweis auf das Aufnahmeland Italien mitgeteilt, dass ihr Asylantrag abgelehnt werde und sie am 6. Mai nach Italien abgeschoben würden. In Panik verließen sie Olpe und tauchen bei Verwandten unter. Beide Geschwister wurden bundesweit zur Fahndung ausgeschrieben.

Stilles Kirchenasyl

Über das „Netzwerk Asyl in der Kirche e.V.“ kam der Kontakt zur Evangelischen Kirchengemeinde Olpe zustande. Sie liegt im Bereich des zuständigen Ausländeramtes. Das „Kirchenasyl“ ist eine Möglichkeit, Flüchtlingen einen zeitlich befristeten Schutz zu gewähren, um eine erneute rechtliche Prüfung zu erwirken und vielleicht doch eine Duldung zu erreichen.

Das Presbyterium der Kirchengemeinde Olpe beriet gründlich, ob es ein solches „Kirchenasyl“ gewähren sollte. Zwar nicht einstimmig, aber doch einmütig fasste man nach reiflicher Überlegung den folgenreichen Beschluss ein „stilles Kirchenasyl“, also ohne öffentliche Beteiligung, einzurichten. Eine aufregende Zeit für die evangelische Kirchengemeinde und den Betreuerkreis begann am 22. Juli 2013. Ein Unterstützerkreis wurde gebildet, zu dem anfangs 20 Personen gehörten. Sieben Personen hielten bis zum Ende des „Kirchenasyls“ durch. Sie versorgten die beiden Flüchtlinge mit allem, was sie zum Leben im Gemeindehaus brauchten. Die Unterkunft war zweckmäßig, enthielt sie doch eine Küche und auch eine Dusche konnte eingebaut werden. Täglich sorgte die Gemeinde für die beiden, damit ihnen nicht langweilig wurde. Ein benachbarter Lehrer und eine benachbarte Lehrerin erteilten Deutschunterricht. Und immer dabei Gisela Schmidt aus Drolshagen, die sich täglich Stunden im Gemeindehaus aufhielt, rührend die beiden umsorgte und ihnen Gesellschaft leistete. Es wurde gespielt und gekocht. Die beiden übernahmen Reinigungs- sowie Hausmeistertätigkeiten und nahmen gerne an Gruppenstunden teil. Presbyterin Doris Thieme kümmerte sich währenddessen mit aller gebotenen Vorsicht um behördliche Angelegenheiten. Ein psychologisches Trauma-Gutachten konnte in das wieder aufgenommene Verfahren eingebracht werden. Langsam wich die Angst der beiden Flüchtlinge in Wenden. Sie erlebten, wie rührend man sich um sie kümmerte und ihnen beistand. Auch Anwohner merkten, was im Gemeindehaus los war und brachten sich ein. 18 Monate lang dauerte das „stille Kirchenasyl“ in Wenden. Während dieser Zeit kam überwiegend die Kirchengemeinde aus ihren Diakoniemitteln für den Lebensunterhalt der beiden Geschwister auf. Doris Thieme: „Ein anderes Verhalten war für uns mit der christlichen Menschenwürde nicht zu vereinbaren und mit unseren Gewissen auch nicht.“ Gisela Schmidt erinnert sich noch gut an den Moment, wo ihr Rokn Farman nach etwa sieben Monaten um den Hals fiel, weinte und schluchzend sagte, dass sie nun keine Angst mehr habe. Schmidt: „Die ersten Monate im „Kirchenasyl“ waren schlimm.“

Ein erster Hoffnungsschimmer kam auf, als im Mai 2014 das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Geschwisterpaar Farman mitteilte, dass die Überstellungsfrist nach Italien abgelaufen sei. Das Asylverfahren war auf Deutschland übergegangen. Die beiden erhielten nun Personalpapiere und konnten sich frei bewegen. Sie erlebten zum ersten Mal den Wendener Kirmes, fanden in Olpe Freunde und besuchten von nun an dort einen Sprachkurs. Im Juni 2014 erhielt Hzni Farman seine Anerkennung als Flüchtling durch das Bundesamt für Migration. Im September erfolgte die Anerkennung auch für Rokn Farman. Eine große Erleichterung und Freude für die beiden und natürlich auch für die Evangelische Kirchengemeinde Olpe. Die beiden Geschwister werden Wenden in den nächsten Tagen verlassen. Hzni zieht in die Nähe seiner Brüder nach Cloppenburg, um dort die Sprachkenntnisse zu verbessern und sich eine Arbeit zu suchen. Rokn möchte nach einem weiteren Sprachkurs eine Ausbildung als Hotelfachfrau beginnen.

Gut ist das Leben für die beiden aber noch nicht. Was ist mit ihren Eltern und jüngeren Brüdern? Mittellos gelang denen im August 2014 die Flucht in die Türkei. Als Angehörige der kurdisch-jesidischen Minderheit fühlen sie sich dort nur bedingt sicher. Sie halten sich derzeit im Grenzgebiet zu Syrien auf und sehen, wie die nahe gelegene Stadt Kobane umkämpft wird. Eine weitere Flucht nach Deutschland ist ihnen nicht möglich.

kp

 

Text zum Bild: (Foto Karlfried Petri)

Bild oben:

Sie haben sich kennen und schätzen gelernt. Rokn und Hzni Farman haben in Wenden liebe Freunde gefunden und ihre „Oma Schmidt“. Der Abschied fiel allen schwer, besonders aber Gisela Schmidt.

Im Bild v. li.: Gisela Schmidt, Rokn Farman, Doris Thieme, Pfr. Martin Eckey und Hzni Farman.

Hzni und Rokn Farman (v. li.)

 

Roki Farman hat für die Abschiedsfeier arabisches und syrisches Essen vorbereitet.

Im Bild v. li.: Gisela Schmidt, Doris Thieme, Pfr. Martin Eckey, Susanne Lanatowitz, Hzni Farman und Rokn Farman.

 

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