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Tag der Westfälischen Kirchengeschichte in Freudenberg
15.9.2015
Ganz im Zeichen von Johann Heinrich Jung-Stilling stand der Tag der Westfälischen Kirchengeschichte am 11. und 12. September 2015 in Freudenberg. Anlässlich des 275. Geburtstages des berühmten Siegerländers, der am 12. September 1740 in Grund bei Hilchenbach geboren wurde, hielt Prof. Dr. Wolf Friedrich Schäufele, Marburg, in der Ev. Kirche Freudenberg den Vortrag „Johann Heinrich Jung-Stilling (1740-1817) zwischen Aufklärung und Erweckung“.
Schäufele beschrieb Johann Heinrich Jung, der später selbst den Zusatz „Stilling“ seinem Namen zufügte, als einen Vergessenen und Unvergessenen gleichermaßen. In der großen Öffentlichkeit sei sein Name und Werk lange verschwunden. In der germanistischen, theologischen und ökonomischen Wissenschaft finde er jedoch lebhaftes Interesse.
Der Marburger Professor ging auf das Leben und den Glauben, die äußere und innere Biographie Jung-Stillings ein. Das Leben Jung-Stillings sei die Geschichte eines sozialen Aufstiegs und selbst für einen Menschen des 18. Jahrhunderts außergewöhnlich gewesen. Vom Halbwaisen aus einfachen ländlichen Verhältnissen stieg er auf zum Hofrat im Karlsruher Schloss. Immer wieder habe er seinen Beruf gewechselt. Als junger Mensch sei er Schneider und Dorfschullehrer gewesen, später wurde er kaufmännischer Angestellter, Student, Arzt, Augenoperateur, Professor für Wirtschaftswissenschaften an mehreren Universitäten und schließlich Geistlicher Berater des Badischen Großherzogs, dazu religiöser Volksschriftsteller. Er habe zahlreiche Werke hinterlassen, darunter eine viel beachtete Autobiographie, Romane und wirtschaftswissenschaftliche Lehrbücher. „Was sein Leben so faszinierend macht“, so Schäufele, „ist die durchgehende Verschränkung von Leben und Glauben.“
Johann Christian Stahlschmidt
Bereits nachmittags hatte Ortspfarrer Thomas Ijewski die Tagungsteilnehmer und zahlreichen Besucher im Tillmann-Siebel-Haus der Ev. Kirchengemeinde Freudenberg mit einem weit gereisten Freudenberger bekannt gemacht, der ebenfalls vor 275 Jahren geboren wurde: Johann Christian Stahlschmidt. Ijewski hatte sich auf Spurensuche begeben in den Kirchenbüchern, die ab 1612 lückenlos im Pfarrhaus aufbewahrt werden. Außerdem sind Stahlschmidts Briefe aus den Jahren 1797/98 unter dem Titel „Die Pilgerreise zu Wasser und zu Lande oder Denkwürdigkeiten der göttlichen Gnadenführung und Fürsehung zu dem Leben eines Christen, der solche, auch besonders in seinen Reisen in alle vier Haupttheile der Erde reichlich an sich erfahren hat“ in Buchform und in mehreren Sprachen erschienen. Das Buch wurde zur damaligen Zeit ein Bestseller. Eine Erstausgabe aus 1799 war im Gemeindehaus während der Tagung ausgestellt.
Zum kleinen Kreis derer, die sich damals in Freudenberg mit den religiösen Schriften Jakob Böhmes beschäftigten, gehörte dieser Johann Christian Stahlschmidt. Sie waren dem Pfarrer samt Presbyterium ein Dorn im Auge, da sie nicht in den Gottesdienst gingen. Stahlschmidts strenger Vater, mit dem Pfarrer befreundet, fand bei seinem Sohn eine berüchtigte Schrift Böhmes. Die Peitsche wurde herausgeholt und der Sohn gezüchtigt. Johann Christian musste versprechen, die sektiererischen Zusammenkünfte in privaten Konventikel zu meiden und diese Schriften nicht mehr zu lesen. Da er einerseits dies Versprechen nicht brechen, aber andererseits weiterhin erweckliche Literatur lesen wollte, verließ er heimlich in der Nacht sein Vaterhaus. Sein Weg führte ihn über Köln nach Amsterdam, wo er ein Schiff der Vereinten Ostindien-Kompanie bestieg, das bis nach Indonesien segelte. Es war der Beginn vieler Reisen zu drei Kontinenten. Die Lebensart der Einheimischen beschrieb er als ein Gemisch aller Laster. Er wendete sich mit Grausen ab und las intensiv die Bibel. Viele Abenteuer hatte der Pietist auf Weltreise zu bestehen, bis er wieder zurück nach Freudenberg kam. Unterwegs lernte er die religiösen Bräuche anderer Kulturen kennen, die ihn wieder mit seiner Evangelischen Heimatkirche versöhnten.
Ijewski schilderte die spannende Lebensgeschichte des weit gereisten Freudenbergs. Stahlschmidt besuchte Tersteegen 1766 in Mühlheim. In Stahlschmidts Besitz gelangte auch der Brief Tersteegens nach dessen Tod, mit dem dieser sich Jesus Christus übereignete, geschrieben mit Tersteegens eigenem Blut. Auch hiervon war eine Faksimile-Kopie im Gemeindehaus ausgestellt. Stahlschmidt wanderte nach Nordamerika aus und wurde Pastor von sieben Landgemeinden in Pennsylvania. Wiederum zurück im Freudenberg wirkte er 1799 an der Gründung der Elberfelder Missionsgesellschaft mit, aus der die heutige Vereinte Evangelische Mission in Wuppertal entstand.
Wittgenstein und Herrnhut
In seinem Vortrag über „Die Wittgensteiner Pietisten und Herrnhut“ beschrieb Dr. Ulf Lückel, Marburg, eine radikal-pietistische Zeit aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Wittgensteiner Land. Frankfurt mauserte sich damals zu einem separatistischen Zentrum. Die Zeichen der Zeit wurden gedeutet und das Ende der Zeit an den Franzosenkriegen, der Katholischen Kirche, Naturereignissen und anderen Geschehnissen festgemacht. Zu der Bewegung gehörte Gräfin Hedwig Sophie, die in Berleburg 1700 eine Philadelphische Gemeinde bildete und die mit Philipp Jacob Spener in Kontakt stand. Sie hatte auch immer eigene Seelsorger gehabt, Lutheraner, die mit Francke in Halle verbunden waren. Der Sohn der Gräfin, der 13-jährige Casimir nahm bereits am Gemeindeleben teil. Er studierte später in Gießen und danach in Halle. Hier widmete er sich nicht dem Studium und den Bibelstunden, sondern ging seinen Lustbarkeiten nach. Dem wurde ein Ende bereitet und nach der Kavalierstour nach Holland und England trat er 1712 die Regierung in Berleburg an. Lückel beschrieb die rege Bautätigkeit des jungen Regenten nach halleschem Vorbild. Es entstand auch ein Waisenhaus und eine Druckerei, in der später die Berleburger Bibel gedruckt wurde. Zinzendorf hatte in der Oberlausitz von den Geschehnissen in Berleburg gehört und stattete 1730 einen Besuch ab. Es wurden neue Philadephische Gemeinden in Berleburg nach Herrnhuter Vorbild gegründet. Alle Konfessionen sollten hier Aufnahme finden. Das Miteinander funktionierte, solange Zinzendorf mit seinem Charisma präsent war. Als er wieder abreiste, war dem Zerfall keine Einheit zu gebieten. Der Aufklärung wurde der Weg freigemacht.
Prof. Dr. Christian Peters, Münster, stellte in seinem Vortrag Ludwig Friedrich Graf zu Castell-Remlingen (1707–1772) vor. Der Verwandte Zinzendorfs hielt in Solingen und Elberfeld 1737 Erweckungsstunden. Er wurde zum Gegenstand pietistischer Gegenspionage und wurde für einige Tage inhaftiert. In Solingen wirkte die Erweckung weiter über alle Konfessionen hinweg und wurde von Laien getragen.
Am Ende der Tagung erfolgte eine Exkursion nach Hilchenbach, wo auf dem Marktplatz das Jung-Stilling-Denkmal besichtigt wurde, und nach Grund, wo das Geburtshaus des berühmten Siegerländers steht. Die Entstehungsgeschichte des Jung-Stilling-Denkmals in Hilchenbach hatte zuvor Dr. Johannes Burkardt, Münster, skizziert.
Der Verein für Westfälische Kirchengeschichte wurde 1897 in Hagen gegründet. Zunächst als rein evangelischer Verein, der sich auf die Grafschaft Mark beschränkte, nahm er bald das gesamte Westfalen in den Blick. Nach dem Zweiten Weltkrieg öffnete sich der Verein auch für katholische Mitglieder und Themen. Er hat heute an die 500 Mitglieder.
kp
Text zum Bild: (Fotos Karlfried Petri)
Prof. Dr. Christian Peters, Vorsitzender des Vereins für Westfälische Kirchengeschichte (Foto Petri)
Pfarrer Thomas Ijewski schilderte das abenteuerliche Leben des Freudenbergers Johann Christian Stahlschmidt.
Erstausgabe von Stahlschmidts „Pilgerreise“ aus dem Jahr 1799 (Foto Petri)