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Familie ist ein Geschenk, das gestaltet werden will
Kreismännertag interessierte sich für Familiendiskussion
12.11.2013
„Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so gespannt lauschten über 100 Männer aus den Ortschaften des Siegerlandes dem Vortrag von Superintendent Peter-Thomas Stuberg. Dies empfand zumindest Pfarrer Christoph Dasbach, Beauftragter für die Männerarbeit im Evangelischen Kirchenkreis Siegen. Es ging um Männer in Familienverantwortung. Ein Thema, das alle berührte. Wird doch das Thema Familie zurzeit kontrovers in der Evangelischen Kirche von Westfalen und auf EKD-Ebene diskutiert. Über 100 Männer aus 15 Männerkreisen waren am Samstagmorgen (9. November 2013) in das Evangelische Gemeindezentrum auf dem Rödgen gekommen, um den diesjährigen Männertag zu erleben.
Im Zuge der Begrüßung beschrieb Dasbach kurz die neue Situation der Ev. Kirchengemeinde Rödgen-Wilnsdorf. Seit dem 1. Januar 2011 bringen sich die Menschen aus acht Dörfern in eine neue große Gemeinde ein. 7.500 Evangelische gehören zu der Gemeinde, die vier Seelsorgebezirke hat. Seit September verstärkt Pfarrer Christoph Otminghaus das Pastorenteam der Kirchengemeinde. In seiner Andacht machte Otminghaus deutlich, dass Männer durch ihr Vorbild zeigen können, wie man mit Glauben umgeht. Mitte und Maßstab der Bibel sei Jesus. Otminghaus: „Wie können Kinder den Maßstab lernen? Doch nur, wenn man abgucken kann.“
Superintendent Peter-Thomas Stuberg ging in seinem Vortrag „Familienverantwortung heute – was bedeutet das für Männer“ auf die Hauptvorlage der Evangelischen Kirche von Westfalen ein. Dieses Impulspapier habe eine enorme Resonanz hervorgerufen. Unterschiedliche Auffassungen träten zutage. Die Vorlage werde länger diskutiert als ursprünglich vorgesehen. Auf der diesjährigen Landessynode gäbe es daher zunächst einen Zwischenbericht.
Stuberg: „Jeder gehört zu einer Familie. Die Wahrnehmung von Familie ist immer vom eigenen Erleben geprägt. Familie ist nicht der Ort des Himmels auf Erden.“ Für den Superintendenten sind Ehe und Familie kein Verdienst, sondern ein Geschenk. Stuberg, selbst 32 Jahre verheiratet, drei erwachsene Kinder und ein Enkelkind, schilderte zunächst die Erlebnisse von Familien nach dem Krieg. Tanten und Geschwister seien Familienersatz gewesen. In den 50er Jahren habe eine Wohnung nur mit Trauschein bezogen werden können. Man sei froh und dankbar gewesen, aus den Kriegstrümmern etwas aufbauen zu können. Stuberg: „Die Welt war überschaubar, die Rollen waren verteilt, alles war geordnet und sortiert.“ Irrtümlich sei jedoch angenommen worden, dass es diese familiäre Lebensform schon immer gegeben habe. Sie sei zwar heute nach wie vor die in Deutschland am weitesten verbreitete Lebensform. 71% der Familien bestünden aus Ehepaaren mit minderjährigen Kindern. Dies sei allerdings seit 1996 rückläufig. Alternative Lebensformen nähmen zu.
Erst im 17. Jahrhundert sei der Begriff „Haus“ durch den Familienbegriff abgelöst worden. Der wiederum habe sich im 19. Jahrhundert zum heutigen Verständnis der Kernfamilie verengt. Zuvor habe es in der Gesellschaft anders ausgesehen. Eine freie Gattenwahl habe es nicht gegeben. Über Ehen seien Vermögens- und Besitzstände in Großfamilien geregelt worden. Erst durch die Lohnarbeit sei die Selbstständigkeit gekommen.
Mit der Selbstständigkeit ist es heute nicht mehr so einfach wie noch vor Jahren. Das nimmt der Superintendent in Gesprächen mit jungen Menschen wahr. Heute sei es selbst für gut ausgebildete junge Menschen oftmals schwer, als Familie zu leben und eine Familie zu ernähren. Stuberg: „Die Sehnsucht nach Familie nehme ich bei jungen Menschen sehr wohl wahr. Nicht selten reicht es aus beruflichen Gründen aber nur zu einer unverheirateten Wochenendbeziehung.“ Das Armutsrisiko sei nicht unerheblich. Dies hänge mit den wirtschaftlichen Verhältnissen zusammen. Stuberg zitiert den Soziologen Ulrich Beck: „Das Marktsubjekt ist in letzter Konsequenz das allein lebende Individuum.“ Daher kämen alternative Formen des Zusammenlebens auf. Diese Veränderung dringe bis in den Sprachgebrauch der Kirchengemeinden hinein. Wer melde sich denn zu einer Familienfreizeit an? Das ältere Ehepaar? Die alleinerziehende Mutter? Die Singles? Bei Familiengottesdiensten fühlten sich ebenfalls viele nicht angesprochen. Hier müssten nicht nur andere Begriffe verwendet werden, damit sich Menschen in unterschiedlichen Lebensformen angesprochen fühlten.
Nach evangelischen Vorstellungen gelte für die Gestaltung des Lebens als Maßstab die Bibel. Nach Luther ist die Mitte der Bibel das, „was Christus treibet“. Stuberg: „Bibel lesen heißt, ständig zu lernen. Die Bibel liefert keine Ehelehre. Daher ist ein funktionaler Familienbegriff entstanden, der inhaltliche Werte aufzeigt. Familie ist danach dort, wo Menschen dauerhaft und generationsübergreifend sich persönlich füreinander einsetzen und Verantwortung übernehmen.“ Anhand des Alten und Neuen Testaments zeigt der Superintendent auf, wie unterschiedlich Familie gelebt wurde und wie unterschiedlich die Einstellungen zur Familie seien. Bis hin zu Paulus, der es als besser angesehen habe, unverheiratet zu leben. Jede Generation müsse selbst verantwortungsvoll herausfinden, so Stuberg, welche Lebensform diesen inhaltlichen Werten entspräche.
Zur Sprache kamen auch die sich veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Zunehmend seien Ein- und Zweipersonenhaushalte zu verzeichnen, was auch mit den vielen alten Menschen zusammenhinge. Die rückläufige Geburtenrate habe erhebliche Auswirkungen auf die Infrastruktur. Kindergärten, Schulen und auch Kirchengemeinden seien davon betroffen. Es stelle sich die Frage, ob die Kirchengemeinde Rödgen-Wilnsdorf in 20 Jahren noch 11 Gebäude benötige. Unehelich geborene Kinder hätten, Gott sei Dank, durch die Rechtsprechung mittlerweile die gleichen Rechte wie ehelich geborene Kinder. Die abnehmende Geburtenrate mache es dem wirtschaftlichen Auskommen der Gesellschaft in Zukunft schwer. Für die Kinder, die heute geboren werden müssten, seien bereits deren Mütter nicht geboren worden.
In der lebhaften Diskussion wurde deutlich, dass wirtschaftliche Zwänge zu großen familiären Problemen führten. Auch von einem Mindestlohn, der bei 8,50 Euro liege, könne eine Familie heute nicht ernährt werden. Arbeit müsse ein auskömmliches Einkommen erzielen. Zudem müssten Männer auch Zeit haben können, sich um ihre Familie zu kümmern. Kinder würden ganztags betreut im Kindergarten wie in der Schule. Da bleibe oft nur noch das Wochenende.
Über die Männerarbeit in der westfälischen Landeskirche informierten Jürgen Haas und Marcel Temme. Sie sind im Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen auch zuständig für die Männerarbeit in Südwestfalen. Sie weisen auf ein Projekt Anfang nächsten Jahres hin. In Kooperation mit Kindertageseinrichtungen im Kirchenkreis Siegen und Büchereien werden Männer gesucht, die in Kindertageseinrichtungen vorlesen. Grund: Es gibt kaum männliche Vorbilder in Kindergärten und Grundschulen.
kp
Text zum Bild: (Foto Karlfried Petri)
Bild oben:
Über 100 Männer lauschten dem Vortrag von Superintendent Peter-Thomas Stuberg, der die Entwicklung des Familienbegriffs in der Geschichte aufzeigte.
Pfarrer Christoph Dasbach (li.) stellte die Kirchengemeinde Rödgen-Wilnsdorf vor und Pfarrer Christoph Otminghaus machte deutlich, das Vorbilder Glauben vermitteln.
Über die Männerarbeit in der westfälischen Landeskirche informierten Marcel Temme und Jürgen Haas (v. li.).