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Vergebung entschuldigt nicht
Gesprächsabend mit Curt Stauss
28.1.2015
Ein anspruchsvolles und zugleich sperriges Thema wurde jetzt (27. Januar) im Haus der Evangelischen Studierendengemeinde Siegen, Hölderlinstraße 50, aufgegriffen. Wie ist das mit Vergebung und Entschuldigung, beispielsweise 25 Jahre nach der Wende?
Als Gast hatte Studierendenpfarrer Dietrich Hoof-Greve den Zeitzeugen Curt Stauss eingeladen. Stauss ist evangelischer Pfarrer, Mitverfasser der Studie „Leben und Bleiben in der DDR“ (1985) und seit 1995 Beauftragter der EKD für Seelsorge und Beratung von Stasi-Opfern der SED-Kirchenpolitik. Stauss hielt tags drauf auf Einladung der Kirchenhistorikerin Prof. Dr. Veronika Albrecht-Birkner einen Vortrag in ihrem Seminar an der Universität Siegen.
Das Thema, so der Referent, provoziere und drücke Ärger aus. Vergebung werde oft leichtfertig gehandhabt und eingefordert. „Ich habe mich entschuldigt, jetzt ist alles gut“, laute ein Satz, den man nicht selten höre. Nur, so funktioniere Vergebung nicht. Vergebung könne man sich nicht durch ein „Entschuldigung“ selbst herbeiführen. Stauss: „Entschuldigung kann nur von dem gewährt werden, an dem ich schuldig geworden bin. Und, es ist mit einem Sprechakt des anderen verbunden. Beispielsweise mit dem Satz ‚Es steht nun nichts mehr zwischen uns‘“.
Und dennoch sei nach einer Vergebung die Schuld nicht einfach weg. Man müsse unterscheiden, so der Theologe, zwischen Person und Tat. Vergebung meine immer die Person. Vergebung nehme aber nicht die Schuld. Es bleibe die Frage im Raum, was mit der Schuld passiere.
In einem Kitschroman dauere der Zeitraum wischen Schuldbekenntnis und Vergebung wenige Minuten, in der Realität jedoch eine halbe Ewigkeit. Im Gottesdienst dauere es zumeist nur wenige Sekunden. Unmittelbar nach dem Sündenbekenntnis erfolge die Absolution.
Wie man mit Schuld und Vergebung umgehen könne, habe er von der Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika gelernt. Dort hätten Sühneleistungen eine Bedeutung. Es fange zumindest damit an, „dass anerkannt werde: Da war was“. Dies sei für die Betroffenen wichtig. Hinzu komme der Versuch, etwas von den Folgen wieder gut zu machen, entweder durch Geld, eine Therapie oder einen Täter-Opfer-Ausgleich. Ihm seien in der Seelsorge Menschen begegnet, die so schwer von ihrem Erlittenen traumatisiert seien, dass sie nachts nicht schlafen können, wenn sie beispielsweise einem bestimmten Menschen begegnen.
Irgendwann müssten Menschen, die schuldig geworden seien, wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden. Dies habe sich bei Stasi-Mitarbeitenden als schwierig herausgestellt. Man sei bereit gewesen, diese Menschen zu begleiten, wenn sie sich ihrer Schuld stellten. Dies sei leider nicht gelungen, da ein offenes Klima des Vertrauens nicht habe entstehen können. Auch habe man in den 90er Jahren Kirchengemeinden aufgesucht, um eine Aufarbeitung des Geschehens zu forcieren. Die Reaktion sei gewesen: „Wir wollen es nicht so genau wissen. Sind wir nicht alle ein wenig schuldig?“ Christen erwiesen sich offensichtlich als notorisch konfliktscheu, so Stauss. Auch 25 Jahre später sei ein Versuch der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland nur sehr spärlich angenommen worden, Kirchenräume für Gespräche und Gebete zu öffnen. Die Aussage: „Ich bin schuldig geworden, ich suche Vergebung“, höre man extrem wenig. Am heikelsten empfinde er die Frage nach den eigenen Anteilen. Auch wenn vieles nicht mehr justiziabel sei, werde noch vieles verdrängt. Stauss: „Vergebungsarbeit kann nur erfolgen, wenn ich die dunklen Seiten in meinem Leben mit Scham ansehe.“ Dazu gehöre auch das angepasste Mitmachen. Wenn das durchgearbeitet sei, könnten Menschen frei werden.
Auf die Frage, um wie viele Menschen es gehe, nennt Stauss die Zahl von 280.000 politischen Gefangenen von 1946 bis 1989. Die Zahl der Prozesse sei ab 1976 jedoch rapide gesunken, da diese dem Image der DDR im Ausland geschadet hätten. Mit der von Mielke erlassenen Richtlinie 1/76 traten an Stelle von Prozessen mehr psychologische Zersetzungsmaßnahmen. Das Netzwerk Psychotherapeuten gehe von rund 300.000 Leidtragenden Opfern aus.
Curt Stauss: „Zu den Grundaufgaben der christlichen Gemeinde gehört es, Feindbilder zu beenden. Es ist scheint schwer zu sein, ohne Feindbilder zu leben. Schaffen wir eins ab, holen wir uns ein neues.“ Feindbilder leben von Abgrenzungsidentität. Dem sollte die christliche Gemeinde entgegentreten.
Nach dem bemerkenswerten Vortrag folgte noch ein längeres Gespräch der Studierenden und Professoren der Universität mit dem Gast aus Halle an der Saale.
kp
Text zum Bild: (Foto Karlfried Petri)
Pfarrer Curt Stauss zeigte aus der Seelsorgeerfahrung auf, dass es oft ein langer Prozess sei, bis jemand einem ehemals vertrauten Menschen, der ihn bespitzelt und verraten habe, womöglich vergeben könne.
Im Bild von links: Pfr. Curt Stauss, Prof. Dr. theol. Veronika Albrecht-Birkner und Studierendenpfarrer Dietrich Hoof-Greve.